Scott Mebus
Der Auserwählte
Gods of Manhattan 1
(The Hidden Light)
Titelillustration von Ferenc B. Regös
Karte von Brandon Dorman
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Sabine Bhose
Oetinger, 2009, Hardcover, 380 Seiten, 17,90 EUR, ISBN 978-3-7891-4263-5
Von Carsten Kuhr
Manhattan, New York. Das Herz des US-amerikanischen Ostens. Hier, wo an der Wall Street Vermögen gemacht und verloren werden, wo Menschen hektisch wie in kaum einer anderen Metropole unserer Welt ihren Aktivitäten nachgehen, wachsen der dreizehnjährige Rory und seine neunjährige Schwester Bridget auf. Ihr Vater hat sie von Jahren verlassen, ihre Mutter schuftet von früh morgens bis spät in die Nacht, um die Familie über Wasser zu halten.
Zu Bridgets neuntem Geburtstag hat die Mutter einen Zauberer engagiert. Nun ist das so eine Sache mit Rory und Zauberern. Seit frühester Kindheit hat der Junge die Gabe, gar jeden Zaubertrick zu durchschauen und den Magier bloßzustellen. In der Branche ist er berühmt-berüchtigt, doch seiner Schwester zuliebe hält er sein Lästermaul, auch wenn die Taube im Ärmel noch so offensichtlich ist. Doch dann passiert etwas, das ihm noch nie passiert ist, der Zauberer überrascht ihn mit einem Trick, den er nicht entschlüsseln kann. Das gibt es einfach nicht, dass er nicht herausbekommt, wie der Magier die Karte in Rorys eigenes, selbst verpacktes Geburtstagsgeschenk geschmuggelt hat.
Kurz darauf glaubt er eine Küchenschabe auf einer gezäumten Ratte reiten zu sehen - hat er Halluzinationen, einen Hirntumor, oder hat ihm jemand etwas in sein Müsli getan?
Erklärungen verspricht nur der Zauberer Hex, der in einer auf keinem Stadtplan verzeichneten Straße wohnt. Zusammen mit seiner Schwester macht er sich auf, den Magier zur Rede zu stellen. Und wirklich, abseits des Lärms und der Hektik New Yorks stößt er auf ein Reich, in dem die Zeit stehengeblieben scheint, in dem Götter und Geister wandeln und in dem ein verbissen ausgetragener Kampf geführt wird - er findet Mannahatta.
Damit nicht genug, erfährt er von seiner Bestimmung. Er und er allein ist das letzte lebende Licht, ein Mensch, der immer die Wahrheit zu sehen vermag, und damit nicht nur eine Gefahr für die dunklen Pläne Kiefts darstellt, sondern auch derjenige ist, der die im Central Park eingekerkerten Munsee-Indianer aus ihrem Gefängnis befreien kann - doch soll er das überhaupt, und wenn ja, wann und noch viel wichtiger weshalb?
Scott Mebus hat eine Hommage an New York verfasst.
Das ist sowohl eine gute, wie eine schlecht Nachricht. Warum, wollen Sie wissen? Nun, zum einen berichtet er uns mit viel Liebe und Fachwissen von den malerischen Winkeln der Metropole, von ihrer wechselvollen Geschichte, den Menschen die sie geprägt haben und von ihr geprägt wurden. Hier kann der Leser viel Lokalkolorit abseits der gewalttätigen Bronx, der geschäftigen Wall Street und des vergnügungssüchtigen Broadways schnuppern.
Gleichzeitig aber überfällt uns eine Vielzahl von historischen Personen, wichtigen Gestalten der amerikanischen Geschichte, von denen wir Mitteleuropäer schlicht nichts wissen. Es fällt schwer, ja dürfte für jugendliche Leser gar beinnahe unmöglich sein, diese in einen Kontext einzuordnen und zu werten. Was jeder amerikanische Schüler im Geschichtsunterricht eingeflößt bekommt, wer der oder jener war, was er für die USA bedeutet hat, das fehlt uns schlicht. Hier bleibt Vieles auf der Strecke, auch wenn Verlag und Autor mit einem kurzen erläuternden Anhang versuchen die Figuren ein wenig vorzustellen.
Darüber hinaus bietet uns der Autor eine faszinierende Welt dar, in der er Vorlagen anderer Autoren mit eigenen Ideen verbindet. Lebende Statuen, Götter, die auf Erden wandeln, intelligente Tiere sind beliebte Versatzstücke klassischer wie moderner Märchen und Fantasy-Romane. Dazu gesellen sich dann aber ganz eigene Ideen, wie zum Beispiel Pappmaschee-Figuren, die die Seele von Menschen aufnehmen, und die von einem Schmiedemeister gefertigt werden.
Wie jedes gutes Jugendbuch ist auch dieses letztlich ein Roman über das Erwachsenwerden. Der schwierige Prozess, der immer mit schmerzhaften Entscheidungen einhergeht, wird im Gewand einer abwechslungsreichen und spannenden Abenteuergeschichte präsentiert. Unser jugendlichen Gestalten, ihre Einsamkeit, die Überforderung durch ihre Umwelt, die viel, so manches Mal zu viel von ihnen erwartet, die Verlockungen vermeintlich schnellen Glücks, all dies wird thematisiert.
Mit der oben näher aufgeführten Einschränkung, dass die Figuren nur bedingt kompatibel für einen Leser der nicht in den USA aufgewachsen ist, sind, legt der Autor ein abwechslungsreiches und versiert aufgezogenes Märchen vor, das Kinder wie Erwachsene in seinen Bann ziehen kann und uns einen ganz anderen Blick auf den Big Apple ermöglicht.