Frank Heller (Redaktion 2. Edition)
Malleus Montrorum
Call of Cthulhu - Rollenspielsystem Hintergrundband
Texte von Scott David Aniolowski, Sandy Petersen, Lynn Willis, Shannon Appel, Frank Heller, Peter Schott, Thomas M. Weghofer, Rainer Nagel, Andre Wiesler, Andreas Gruber, Christoph Maser u. a.
Übersetzung der englischen Texte von Jens Kaufmann, Frank Heller, Holger Göttmann und Peter Schott
Titelbildgestaltung von Manfred Escher
Illustrationen und Pläne von Manfred Escher, Chris Schlicht, Pascal D. Bohr, Konstanteyn Debus, Oliver Ende, Thomas Erntmann, Samar Ertsey, Mark Herrmann, Annegret Lindder, Björn Lensing, Anette & Uwe Matthes u. a.
Fotos aus diversen historischen Quellen
Pegasus, 2008, Hardcover, 502 Seiten, 39,95 EUR, ISBN 978-3-939794-65-3
Von Christel Scheja
„Malleus Monstrorum“ ist durch seine Größe und Dicke wuchtig – das mit 504 Seiten bisher schwerste und dickste Quellenbuch zu „Call of Cthulhu“. Versammelt in ihm sind die unheimlichen Wesen und die Schrecken des Mythos’, die Menschen, die ihnen begegnen, nach und nach in den Irrsinn treiben können, wenn diese hinter die Masken schauen, die viele der Kreaturen tragen.
Das Rollenspiel „Call of Cthulhu“ basiert auf dem Kosmos, den H. P. Lovecraft in seinen Erzählungen schuf und in dem er unsere Erde eine uralte und düstere Geschichte gab. Die Erde, wie er sie beschreibt, ist nur ein Nachhall des schrecklichen Zeitalters, in dem die ‚Großen Alten’ herrschten und den Planeten bereits einmal pervertierten. Wer auch immer ihnen damals Einhalt gebot – vernichten konnte er sie nicht, sondern nur in einen langen und tiefen Schlaf versetzen.
Und so hängt Wohl und Wehe der heutigen Welt von dem Vermögen einiger weniger Menschen ab zu verhindern, dass das, was tief in der Erde ruht, jemals wieder erwacht. Denn es gibt Kräfte – Sklaven, Untertanen und Diener -, die immer wieder Menschen mit falschen Versprechungen von Macht und Ruhm davon zu überzeugen versuchen, ihnen zu helfen. Letztendlich lassen sie viele Dinge, die auf der Erde falsch laufen und die Sterblichen in den Abgrund reißen, auf das Wirken dieser dunklen wie uralten Kräfte zurückführen.
Da Lovecraft auch andere Schriftsteller wie Robert E. Howard, die er durch das Magazin „Weird Tales“ kannte, dazu einlud, ihre Geschichte mit dem Mythos zu verknüpfen, wurde er facettenreicher, als wenn ihn nur eine Person entwickelt hätte, und bietet für das Pen und Paper-Rollenspiel ungeahnte Möglichkeiten der Entfaltung. Keine Kampagne muss dadurch wie die andere verlaufen.
Das „Malleus Monstrorum“ zeigt eindrucksvoll, dass deutsche Rollenspieler nicht immer nur dazu verdammt sind, das amerikanische oder englische Material zu übernehmen, sondern dass der Prozess auch einmal umgekehrt verlaufen kann. So erschien die erste Edition des Bandes 2003 zunächst als rein deutsches Projekt und wurde mit einigen Veränderungen und vielen Kürzungen vom Mutterhaus übernommen.
Die zweite Edition stammt nun zwar aus den USA. Hier in Deutschland wurden allerdings wieder Einführungen und Kurzgeschichten beigefügt und weitere Bearbeitungen vorgenommen, die den Gestalten, Monstern und Göttern mehr Leben und Farbe geben und vielleicht eher zu eigenen Spielideen verführen als nur die reine Information.
Im Gegensatz zu anderen Rollenspielen wie etwa „Dungeons & Dragons“ erhält man hier nicht unbedingt nur Werte und Regeln zum Umgang mit den Kreaturen, stattdessen überwiegt der Anteil der Beschreibung, des Ursprungs und des Wirkens.
Gerade weil das eine oder andere Monster auch Kurzgeschichten und Romanen entnommen wurde, konnten die Autoren aus dem Vollen schöpfen. Im Vordergrund stehen die stimmungsvollen Beschreibungen, denn hier sind die Kreaturen nicht nur dazu da, um Erfahrungspunkte oder Gold zu verschaffen, sondern sie sind überwiegend ernst zu nehmende Gegner, deren Anwesenheit und Nähe bereits den Geist zerrütten kann. Dementsprechend werden dem Spielleiter Tagebuchauszüge und andere Beschreibungen zur Hand gegeben, die er an die Spieler weiter reichen kann, ohne dass er die Wesen selbst inflationär auftauchen lassen muss.
Dem Katalog der Wesen und Götter vorangestellt ist eine ausführliche Einführung. Man erfährt, dass man drei Grundtypen bei den Kreaturen unterscheiden kann. Da sind einmal die unabhängigen Rassen wie die Mi-Go der Ghoule, die ihre eigenen Interessen verfolgen und denen die Großen Alten ziemlich egal sind, dann existieren Dienerrassen wie die dunklen Jungen von Shub-Niggurath, die ohne ihren Gott keine Daseinsberechtigung zu haben scheinen, und nicht zuletzt die einzigartigen Wesen, die sich jeder Klassifizierung verweigern und als Einzelgänger existieren.
Bei den Gottheiten gibt es die ‚Älteren Götter’, die mit der Menschheit nur selten in Berührung kommen, wenngleich sie auch die ‚Äußeren Götter’ misstrauisch beobachten. Diese herrschen über das Universum und bringen den Sterblichen nur Leid, Zerstörung und Wahnsinn. Ihnen ordnen sich durchaus auch viele der ‚Alten’ unter, die nichts anderes als die Götter der Traumlande der Erde sind und auch Kontakt mit dem Menschen pflegen, ja, sogar Kinder mit ihnen zeugen können. Sie werden oft auch noch angebetet und verehrt, weil sie zu Vorbildern für die Götter vieler irdischer Mythen wurden. ‚Avatare’ schließlich sind die Manifestationen aller Gottheiten unter den Menschen, wenngleich sie dadurch auch schwächer werden und nicht ihre ganze Macht ausüben können.
Jedes Wesen – ob nun Monster oder Gott - wird nach einem bestimmten Schema vorgestellt. Der Abschnitt beginnt mit einem stimmungsvollen Intro, durch das Spieler und Spielleiter eine Ahnung von der Wirkung und dem Auftreten des Wesens bekommen. Dann erst folgen die weiterführenden Informationen zu Herkunft, Zugehörigkeit, Interessen und Zielen und die Art ihrer Angriffe (oder Art der Kommunikation mit den Helden). Abschließend gibt es hin und wieder einen Ausklang, in dem man erfahren kann, welche Spuren sie nach einer Attacke hinterlassen. Bei den Göttern kommt noch ein Abschnitt über Kulte und Religionen hinzu, in denen sie verehrt werden.
In einem grau unterlegten Kasten findet man die spieltechnisch relevanten Daten, so weit nötig, von den Attributen, Bewegungswerten, Schadensboni bis hin zu den Fertigkeiten und Zaubern und die Auswirkung auf die geistige Stabilität der Spielerfiguren. Diese ist eine der wichtigen Charaktereigenschaften im Spiel, da man anders als in anderen Spielen bei Begegnungen mit der dunklen Welt immer einen Preis zahlen muss und letztendlich dem Wahnsinn verfällt, wenn man nicht rechtzeitig aufhört.
Stammen die Informationen aus einem literarischen Text, so wird dieser ebenfalls erwähnt und stellenweise sogar zitiert.
Die immer wieder zu einzelnen Wesen und Göttern eingestreuten, handschriftlichen Texte aus den ‚Tagebüchern des Sir Hansen Poplan’ können ausgezeichnet als Handouts für die Spieler dienen, bieten die Essays und Ausführungen doch einerseits interessante Informationen, sind aber andererseits spekulativ genug, um die Gruppe aufs Glatteis oder eine falsche Spur zu führen.
Auch wenn man sich als Spielleiter genau überlegen muss, welche der Kreaturen man einsetzen will, um seine Gruppe damit zu konfrontieren, ohne die Figuren innerhalb von kürzester Zeit in den Wahnsinn zu treiben, ist „Malleus Monstrorum“ doch eine Anschaffung wert. Die Beschreibungen gehen weit über das hinaus, was man sonst von einem Monsterhandbuch erwartet, und bieten stellenweise neben den Informationen auch stimmungsvolle Handouts.
All das wird mit einer ganzen Reihe von ansprechenden Fotos und Zeichnungen versehen – teilweise stammen diese sogar aus der Zeit zwischen 1850 und 1930 oder sind etwas abgewandelt worden, um sie dem Zweck anzupassen.
Dabei hat man sich bewusst an Lovecrafts Leitlinie gehalten, viele Wesen nur indirekt oder verschwommen abzubilden, damit der namenlose Schrecken, den Kreaturen und Götter verbreiten, auch weiterhin ‚unbeschreibbar und unvorstellbar’ bleibt. Trotzdem läuft es einem bereits bei einigen der verwendeten Bilder kalt den Rücken herunter, wenn man den entsprechenden Text dazu gelesen hat.
Es ist interessant, wie geschickt die Autoren Auswüchse oder Strömungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts mit dem Mythos verbunden haben, und wie nahe sie dabei auch H. P. Lovecraft bleiben. Sorgfältig werden historische Realität – Filme, die wirklich gedreht wurden und in den 1920er Jahren in die Kinos kamen – und Fiktion miteinander verbunden und erweitert. Einiges davon geschieht sogar schon vorausschauend, da bereits auch die Wesen der Traumlande aufgenommen wurden, zu denen im Laufe des Jahres 2009 noch ein Quellenband erscheinen soll.
Zu keiner Zeit wirken die Texte und Beschreibungen trocken und langweilig. Gerade weil sie in einem eher erzählenden und sehr atmosphärischen Stil abgefasst wurden, macht es Spaß, in dem Buch auch einfach nur zu schmökern und es mehr oder weniger als Bestiarium zu betrachten. Viele der wichtigen Informationen sind sehr stimmungsvoll verpackt, und auch Abenteuerideen finden sich reichlich.
Manchmal gibt es direkte Hinweise und Anregungen, dann wieder kann man sich von den Einführungen und Ausklängen inspirieren lassen, so dass es einfach wird, gute Ansätze für eigene Abenteuer und Kampagnen zu entdecken, so dass die Mission des Buches mehr als erfüllt ist. Es bleibt zwar offen, ob man jemals alle der vorgestellten Wesen verwenden können wird – aber was zählt, ist die Auswahl, die damit sehr individuelle Spielrunden ermöglicht und vielleicht auch mit der entsprechenden Bearbeitung für andere oder eigene Systeme interessant ist.
Damit bietet das „Malleus Monstrorum“ eine erschöpfende Auswahl von Kreaturen und Göttern, deren Geheimnisse und Wirken zu vielen interessanten Abenteuern und Kampagnen führen können, ohne dass es langweilig wird.
Neben den übersichtlich aufbereiteten Informationen, wie sie in ein Bestiarum gehören, lädt der Band aber auch noch durch die ausführlichen und bewusst atmosphärisch gestalteten Beschreibung der Wesen des lovecraftschen Mythos zum Schmökern ein, denn vieles beruht auf sorgfältigen Recherchen der dazugehörigen Geschichten und Romane.