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Carey, Jacqueline: Das Zeichen - Kushiel 1 (Buch)

Jacqueline Carey
Das Zeichen
Kushiel 1
(Kushiels Dart)
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Ann Lecker
Egmont-Lyx Verlag, 2007, Paperback mit Klappenbroschur, 954 Seiten, 16,95 EUR, ISBN 978-3-8025-8120-5

Von Irene Salzmann

Schon als Kind wird Phèdre ausgebildet, um zu dienen – ihren Freiern und auf diese Weise den Göttern, denn die D’Angelines leben nach dem Motto „liebe, wie es dir gefällt“. Als sie zehn Jahre alt ist, wird sie in den Haushalt von Anafiel Delaunay aufgenommen, der den wahren Wert des Mädchens erkannt hat: Sie ist eine ‚Anguisette’, die erste und einzige seit drei Generationen, gezeichnet von Kushiels Pfeil, einem roten Fleck in einem ihrer dunklen Augen.
Diese Einzigartigkeit und das Wissen, das Delaunay ihr vermittelt, machen Phèdre zur perfekten Spionin. Kaum ein Freier kann ihr widerstehen, und so beschafft sie die Informationen, die ihr Herr benötigt, und findet dabei selber Befriedigung durch Unterwerfung und Pein, wie nur eine Anguisette sie ertragen und schätzen kann.
Allerdings ist Delaunays Spiel gefährlich; er und alle, die für ihn arbeiten, zahlen schließlich einen zu hohen Preis. Phèdre wird zusammen mit ihrem Beschützer, dem cassilinischen Mönch Josceline Verreuile, nach Skaldia verschleppt. Beide werden dem gerissenen Waldemar Selig, dem es gelungen ist, die wilden Stämme zu vereinen, zum Geschenk gemacht.
In seinem Lager kommt Phèdre einer großen Verschwörung auf die Spur. Ein D’Angeline hat seine Heimat verraten, und die Skaldi bereiten sich auf die Eroberung von Terre d’Ange vor. Selbst wenn die riskante Flucht durch Schnee und Eis gelingen würde, wem können Phèdre und Josceline vertrauen, und wer wird ihrer abenteuerlichen Geschichte Glauben schenken?


Man muss nicht sonderlich belesen sein; es reicht, dass man ein wenig europäische/mediterrane Geschichte aus dem Schulunterricht behalten hat und mit einigen Klassikern der Literatur wie der „Edda“, der „Odyssee“, „Tristan und Isolde“ oder abenteuerlichen und phantastischen Romanen wie Rudyard Kiplings „Kim – Geheimdienst in Indien“, Tanith Lees „Der Herr der Nacht“, John Normans „Gor“ usw. vertraut ist – dann kann man sich die Lektüre dieses Buchs eigentlich sparen.
Die Autorin hat sich bekannter Versatzstücke bedient, diese nicht einmal sonderlich verfremdet und kaum eigene Ideen einfließen lassen. Man hat das Gefühl, alles schon mindestens einmal gelesen zu haben. Die Handlung ist vorhersehbar, weist immer wieder Längen auf und kann nicht überraschen. Geraten die Helden in eine Sackgasse, hilft der glückliche Zufall. Dramatische Kämpfe, die über Wohl und Wehe entscheiden, werden kürzer abgehandelt, als Wohnzimmer-Dialoge und ausführliche Erläuterungen zu den Kulturen und Personen.
Die (Homo-) Erotik steht an erster Stelle und ersetzt Action und Spannung, geht aber durch Dominanz- und S & M-Spiele über gängigen Vanilla-Sex hinaus, was vielleicht nicht jedermanns Geschmack trifft. Im Gegensatz zu vielen anderen Romantic-Fantasy-Romanen (von Jean Johnson, Lara Adrian, J. R. Ward…) sind die Beschreibungen hier allerdings nicht explizit, und auch die Sprache ist weniger derb, wodurch diese Variante trotz allem nicht so drastisch herüber kommt. Wer Szenen erwartet, wie sie Tori Maia in ihren Boys Love-Mangas zeichnet, wird enttäuscht.
Geboten wird eine Menge und praktisch alles, was in der phantastisch-historischen Literatur gefällt – in der Summe schon zu viel, als ob auf diese Weise darüber hinweg getäuscht werden soll, wie wenige originelle Ideen tatsächlich zu finden sind.

Das Setting orientiert sich an realen Vorlagen, die grundsätzlich gern in der Fantasy verwendet werden: Im Norden und Osten leben die Barbaren, im Süden und Westen die Kulturvölker, die zunehmend der Dekadenz verfallen.
Terre d’Ange (von franz. Angleterre = England, Land der Engel) wirkt wie ein maurisches Frankreich/England des späten Mittelalters und wird von den Nachfahren der Götter bewohnt. Durch die Lande reisen auch andere Volksgruppen wie die Yeshuiten (Juden) und Tsingani (Zigeuner). Alba (England), Eire (Irland), Tiberium (Rom) und Hellas (Griechenland) sollen einige weitere Beispiele dafür sein, wie munter sich die Autorin historischer Vorlagen bedient und die Geschichte/Mythen mixt, ohne auf die jeweiligen Zeitalter Rücksicht zu nehmen. Skaldia (Russland) ist die Heimat von Stämmen, die an die Waräger/Wikinger erinnern, aber die Rolle der Hunnen unter Atilla/Mongolen unter Batu Khan einnehmen, die auf den Katalaunischen Feldern bzw. bei Liegnitz aufgehalten wurden. Die cassilinischen Mönche wiederum orientieren sich an den asiatischen Kriegermönchen (Shaolin) oder Templern u. ä. Orden, die sich dem Dienst an ihrem Gott geweiht haben, zölibatär leben und in der Kunst des Kampfes bewandert sind.

Auch die Protagonisten entsprechen den Genre-Archetypen:
Es gibt die Heldin, die aus der Masse herausragt, verkannt, beneidet und von wenigen als solche erkannt wird. Als Kurtisane, die Freude an ihrer Berufung hat, bringt sie jede Menge Erotik ins Spiel. Früh findet sie einen Mentor, der sie nicht nur für seine Zwecke einspannt, sondern ihr auch die Kenntnisse vermittelt, die ihr letztlich helfen zu überleben.
Da sie trotz allem keine Kämpferin ist, wird ihr ein treuer Begleiter zur Seite gestellt, der Konfliktpotenzial liefert, da er ihr Konterpart ist als enthaltsamer Mönch. Selbst nachdem sie sich notgedrungen zusammengerauft haben, darf er ihr nicht überlegen sein und begeht vor lauter Hitzköpfigkeit so manchen Fehler oder jammert wegen der Prinzipien, die er verletzen muss.
Liebhaber hat die Heldin viele, aber nur wenige davon bedeuten ihr etwas, und es ist gewiss keine Überraschung, für wen sie sich am Ende entscheidet. An weiteren Helfern mangelt es nicht, doch erfüllen sie lediglich ihre Rollen und werden anschließend auf die eine oder andere Weise entsorgt.
Die Gegenspieler sind mächtig, undurchschaubar und stellen die Weichen für die Fortsetzung, schließlich sollen zwei weitere, nicht minder umfangreiche Romane folgen - und zwei Trilogien, von denen Letztere derzeit in Arbeit, der erste Band davon in den USA für Sommer 2009 angekündigt ist.

Die Religionen, die als Grundlage für die Motivation der Protagonisten herangezogen werden, sind gleichfalls abgeleitet.
Elua ist praktisch ein neuer Prophet/Reformator, der Jünger um sich scharte und fragwürdige Formen des Glaubens zu korrigieren versuchte, analog der Bestrebungen Luthers, Calvins, Hus’ usw. Dabei werden der „Talmud“, die „Bibel“, die Selbstzüchtigung Gläubiger aller Couleur, aber auch die Promiskuität der Babylonier zu Ehren Ishtars bemüht. Die Skaldi verehren mit Ohdinn, Freia, Baldur & Co. Götter eines bekannten Pantheons, und ihr einäugiger Schamane wird von einem Raben begleitet. Phantasieloser geht es bald nicht mehr.

Magie ist nur in vagen Spuren vorhanden. Die Tsingani verfügen über prophetische Gaben, ebenso einige der Skaldi, Picti und Dalriada. Der Gebieter der Meeresstraße ist ein Verschnitt aus Poseidon, Helios (und seinen heiligen Kühen) und Aiolos (dessen Winde Odysseus und seine Gefährten kurz vor dem Ziel an andere Gestade wehten).
Spätestens jetzt wird deutlich, dass dieser Titel wie so manch anderer Romantic Fantasy ein pseudo-historischer Liebesroman ist, der einer winzigen Prise Phantastik die Genre-Zuteilung verdankt.
Publizierte man noch bis in die 1990er Jahre SF- und Fantasy-Bücher namhafter Autoren wie Marion Zimmer Bradley und Wolfgang Hohlbein in der ‚Allgemeinen Reihe’, um mehr Käufer zu locken, da sich bloß ‚ein paar Sonderlinge’ für die phantastische Literatur begeistern konnten, so ist es seit den letzten zehn, zwanzig Jahren umgekehrt: Kinder-/Jugend-, Liebes- und historische Romane, die sich durch ein bisschen Hokuspokus auszeichnen, werden unter den phantastischen Labeln veröffentlicht, da sich diese seit (TV-Serien und Kino-Filmen wie) „Akte X“, „Buffy“, „Harry Potter“, „Der Herr der Ringe“, „Fluch der Karibik“ usw. einer breiten Popularität erfreuen.

Die Handlung plätschert gleichmäßig dahin. Zwar versteht die Autorin, unterhaltsam zu erzählen, schon weil sie die persönliche Sicht der Hauptfigur, mit der sich Leserinnen identifizieren sollen, wählt, aber Spannung will dennoch nicht aufkommen, und auch die erotischen Einlagen lassen das gewisse Etwas missen.
Interessanterweise kann man das in sich abgeschlossene Buch problemlos in drei Teile gliedern – Ausbildungszeit, Gefangenschaft, Kampf gegen die Invasoren bzw. Sehnsucht nach der großen Liebe und tragische Enttäuschung, Neuorientierung, Quasi-Erfüllung. Erfreulicherweise widerstand Lyx der Versuchung, anders als vor einigen Jahren Knaur. Dass nur zwei der drei Teile publiziert wurden, lässt den Schluss zu, dass der Titel damals keinen großen Anklang fand, doch „Bella & Edward“, die Bruderschaft „Black Dagger“, „Leopardenmenschen“ u. a. haben inzwischen wohl den Weg auch für „Kushiel“ geebnet.

Gewiss gibt es Leser, die „Kushiel“ 1 für einen großartigen und ungewöhnlichen erotischen Fantasy-Roman halten, aber genauso wird es Genre-Freunde geben, die sich langweilen, weil ihnen das Buch nichts Neues bietet, es zu schwafelig und das Erkennen der inspirierenden Vorlagen für sie noch das Interessanteste ist.
Leserinnen zwischen 15 und 25 Jahren, denen die als Beispiele genannten Autoren und Titel wenig sagen, die vor allem historische Liebesromane mögen und Serien wie „Betsy Taylor“, „The Dark Ones“ oder „The Midnight Breed“ für zu derb-explizit befinden, dürften ihre Freude an „Kushiel“ haben. Auch die Fans von Boys-Love-Mangas könnten die Reihe als Geheimtipp verstehen, falls sie außerdem zu (dicken) Romanen greifen.
Wer originelle High Fantasy oder/und Sword & Sorcery bevorzugt und sich über die Jahre einen umfassenderen literarischen Hintergrund angeeignet hat, ist besser beraten, die Finger von diesem Wälzer zu lassen, es sei denn, er möchte mit Freunden ein Rate-Quiz veranstalten: „Woher kennen wir diese Figur, dieses Land, diese Ära, diese Passage, und welcher Autor beschrieb bereits vor xx Jahren in welchem Roman/Film folgende Kultur oder Szene?“

hinzugefügt: April 13th 2009
Tester: Irene Salzmann
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