|
Reeve, Philip: Gwyna - Im Dienste des Zauberers (Buch)
Philip Reeve
Gwyna – Im Dienste des Zauberers
(Here lies Arthur, 2007)
Aus dem Englischen von Alexandra Ernst
cbj, 2008, Hardcover, 318 Seiten, 14,95 EUR, ISBN 978-3-570-13420-7
Von Irene Salzmann
Nachdem die Kriegsmeute von Artus den Hof, an dem Gwyna lebte, plünderte und brandschatzte, wird das Mädchen von dem Barden Myrddin aufgenommen. Schon bald kann sie ihm so manchen Dienst erweisen, der dazu beiträgt, dass der Mythos um den britischen König mehr und mehr gedeiht.
Um Gwyna zu schützen und an den richtigen Stellen einzuschleusen, lässt Myrddin sie die Kleidung eines Jungen anlegen. Auf diese Weise lernt sie eine andere Seite des Lebens kennen, die den Frauen grundsätzlich verschlossen bleibt. Auch diese ist alles andere als rosig, denn die Krieger sind kaum mehr als unzivilisierte Barbaren, Diebe und Mörder, aber sie genießen ihre Privilegien als Männer. Zu den Jungen gehört Bedwyr, der sich mit dem vermeintlichen Lehrling eines Zauberers anfreundet, und auf einer Reise lernt Gwyn Peredur kennen, der ein ähnliches Geheimnis hütet.
Allerdings kann Gwyn nicht auf Dauer verbergen, was er in Wirklichkeit ist. Darum muss Gwyna auch die Fertigkeiten erlernen, die jede junge Frau beherrschen sollte. Fortan ist sie an das Haus gebunden und vermisst schmerzlich die verlorenen Freiheiten. Selbst die Freundschaften zu Bedwyr und Peredur nehmen ein Ende, denn während der eine nach den hübscheren Mädchen den Kopf dreht, ahnt der andere, wer Gwyna ist.
Als Artus Gwenhwyfar zur Frau nimmt, wird Gwyna ihre Vertraute: Geheimnis gegen Geheimnis. Trotz aller Vorsicht kann Gwyna nicht verhindern, dass die verbotene Liebe zwischen Gwenhwyfar und dem im Kampf verwundeten Bedwyr entdeckt wird. Der Verräter ist ausgerechnet die Person, der Gwyna die meiste Zuneigung entgegen bringt: Myrddin…
Der Artus-Mythos ist eine der beliebtesten Vorlagen für spannende und heroische Fantasy-Romane, die das Ritterleben verbrämen und das Leben der Menschen dieser Epoche fern jeglicher Realität beschönigt darstellen. Philip Reeve bedient sich ebenfalls des Sagenguts, versucht jedoch, nicht jedem der ausgetretenen Pfade zu folgen, sondern der Geschichte eine neue Facette hinzuzufügen.
Dabei geht es ihm weder um eine historisch präzise Schilderung noch um spannende Fantasy-Motive, die neue und ungewöhnliche Handlungsstränge addieren. Stattdessen stellt er ein junges Mädchen in den Mittelpunkt, die ein Leben führt, wie es zur damaligen Zeit vielleicht möglich gewesen wäre, und die einen Blick hinter die Kulissen werfen darf, wie der Mythos um Artus eventuell entstanden ist.
Dafür wird Gwyna aus ihrem Umfeld heraus gerissen, sie muss sich zunächst als Junge verkleiden, später als Mädchen die lieb gewonnen Freiheiten wieder aufgeben, und doch gelingt es ihr letztlich, dank dem, was sie lernte, ihr Schicksal selbst in die Hände zu nehmen. Sie erweist sich als beherztes Mädchen, das jede Chance nutzt, aber auch das notwendige Glück hat, aus jeder Misere unbeschadet hervorzugehen. Das wirkt oft unglaubwürdig, aber „Gwyna“ ist nun mal ein Jugendbuch, das auf ein Happy End hin arbeitet.
Myrddin, der stets als der weise Ratgeber beschrieben wird, welcher alle Fäden fest in den Händen hält, ist hier ein Barde, der eine Vision hat und die Menschen zu manipulieren versteht – aber kein Zauberer, und es gibt auch keine Magie. Tatsächlich ist er gar nicht so allwissend, denn seine männliche Arroganz verbietet ihm dazu zu lernen, so dass ihm manche Kräuterfrau weit voraus ist.
Auch der edle Artus hebt sich nicht aus der Masse hervor, sondern ist ein ungebildeter Barbar wie alle anderen, der sich leicht von Myrddin lenken lässt. Um seine Position zu festigen, heiratet er Gwenhwyfar, obwohl es zwischen ihnen keine Liebe gibt. Gwenhwyfar wiederum ist ein typisches Opfer ihrer Zeit, die aus politischen Erwägungen mehrmals verschachert wird, Trost bei Bedwyr sucht und durch diese Liaison den Untergang von Artus herbeiführt, der aus gekränkter Eitelkeit in den Krieg gegen einen Vertrauten zieht.
Das Ende ist bekannt und wird nicht allzu ausführlich abgehandelt, denn es dient nur als Kulisse für die weitere Entwicklung Gwynas, die noch mit einer letzten Überraschung aufwartet. Sie ist die eigentliche Heldin und stellt alle Jungen und Männer in den Schatten, da sie mit offenen Augen durchs Leben geht und nicht nur das sieht, was sie sehen soll, und weil sie ihre Ängste bezwingt. Dadurch wird sie zur Identifikationsfigur für Leserinnen zwischen 13 und 16 Jahren, die starke Frauen und abenteuerliche Romane schätzen.
„Gwyna“ greift kein neues Thema auf, und auch die Charaktere folgen den Traditionen, aber das Buch offeriert eine spannende, auf junge Leserinnen zugeschnittene Variante der Artus“Sage. Die Handlung wird aus weiblicher Sicht geschildert und wartet – im Gegensatz zu vielen zeitgenössischen Erzählungen, in denen die Heldin wieder ihre Erfüllung als Heimchen am Herde findet – mit einer Figur auf, die sich bis zum Schluss treu bleibt und ihren eigenen Weg geht. Das gefällt und macht den Titel zu einer lesenswerten Lektüre für die Zielgruppe.
hinzugefügt: April 14th 2009 Tester: Irene Salzmann Punkte: zugehöriger Link: cbj Hits: 2676 Sprache:
[ Zurück zur Übersicht der Testberichte | Kommentar schreiben ] |
|