Wraithborn
(Foolkiller – Fool's Paradise)
Story & Zeichner: Joe Benitez
Story & Skript: Marcia Chen
Tusche: Joe Weems, e.a.
Farben: Studio F, e.a.
Übersetzung: Bernd Kronsbein
Lettering: Fabio Ciacci
Panini, 2009, Paperback, 148 Seiten, 16,95 EUR, ISBN 978-3-86607-798-0
Von Irene Salzmann
Melanie Moore ist ein ganz normaler Teenager. Sie besucht die High School, kümmert sich nach dem Tod der Mutter um den gesundheitlich angeschlagenen Vater und den jüngeren Bruder. Die Mitschüler behandeln das unscheinbare Mädchen meist wie Luft oder lachen heimlich über ihre Tollpatschigkeit. Das ist Melanie nur recht, denn es könnte schlimmer sein und sie ein Mobbing-Opfer werden wie so manch anderer. Allein mit Zoe Beauvais, die gemeinsam mit ihr in einer Buchhandlung jobbt, wechselt sie hin und wieder ein paar Worte.
Als Melanie eines Nachts das Grab ihrer Mutter besucht, taucht ein schwerverletzter Mann auf, der einige verwirrende Dinge sagt und ihr etwas hinterlässt. Am nächsten Morgen kann sich das Mädchen nur noch vage an den Vorfall erinnern und tut ihn als Albtraum ab. Dass offenbar doch mehr dahinter steckt, wird ihr klar, als sie bizarre Wesen zu sehen beginnt, die außer ihr nur Zoe wahrnehmen kann. Zunächst schenkt Melanie den Erklärungen ihrer Freundin Glaube, dass es sich um harmlose Geister handelt – aber als diese die Jagd auf sie beginnen und sich als sehr real und gefährlich entpuppen, scheint ihr Schicksal besiegelt.
Unverhofft taucht ein maskierter Kämpfer auf und rettet Melanie vor den Kreaturen. Von Valin erfährt sie, dass sie die Besitzerin einer mysteriösen Waffe ist – dem „Wraithborn“ -, die eigentlich auf ihn hätte übergehen sollen. Pech für Melanie, dass sie zur falschen Zeit am falschen Ort war, denn die Unsterbliche Brigit will den Wraithborn, mit dem selbst Wesen wie sie vernichtet werden können, in ihren Besitz bringen. Und sie ist nicht die Einzige!
Für Melanie beginnt ein Kampf auf Leben und Tod, denn sie kann die Waffe nicht loswerden, und selbst Valin kennt nicht das ganze Geheimnis, das sich um den Wraithborn rankt…
Das Erste, was auffällt, wenn man den Comic „Wraithborn“ in die Hand nimmt, sind die schönen Illustrationen, deren Motive, Stil und Reichtum an Details an die Werke Marc Silvestris, Michael Turners, David Finch und andere Künstler erinnern, die den Studio-Verbund Image in den 1990er Jahren auf Platz 3 der beliebtesten Verlage hinter Marvel und DC katapultierten. Insider kennen Joe Benitez außerdem als Zeichner von Serien wie „The Darkness“, „The Magdalena“ und „Soulfire“.
So schön die realistisch-idealistischen Illustrationen auch sind, die Story folgt bekannten Mustern und bietet nicht wirklich Neues. Die Protagonistin ist eine Schülerin, die zufällig besondere Fähigkeiten erlangt, durch die sie die Aufmerksamkeit von uralten Mächten auf sich zieht, die den Wraithborn begehren. In der sechs Episoden umfassenden Mini-Serie ist es die Loa Brigit, die ihre Kreaturen ausschickt, um Melanie und ihren Beschützer Valin zu töten.
Die Geschichte beginnt mitten in der Handlung und verrät durch Rückblenden und den Erklärungen, die Melanie von dritten bekommt, welchen Hintergrund die Geschehnisse haben und wie es überhaupt dazu hatte kommen können, dass ein junges Mädchen zur Trägerin einer mythischen Waffe wird, die sie zur Jägerin und Gejagten zugleich macht. Melanie steht vor der Wahl: Entweder sie läuft davon, und andere sterben für sie – oder sie akzeptiert ihr Schicksal und stellt sich dem endlosen Kampf.
Die Charaktere entsprechen den gängigen Archetypen und bleiben oberflächlich: Es gibt das Mauerblümchen, das durch einen Zufall in den Besitz des Wraithborn gelangt, die unkonventionelle Freundin, die einige Hilfestellungen geben kann, den mutigen Beschützer, die zumindest fragwürdige Verbündete und die finsteren Gegenspieler (von denen einer aussieht wie Marilyn Manson…). Für eine detaillierte Charakterentwicklung sind sechs Bände einfach zu wenig.
Da so manche Frage ohne Antwort bleibt und die Story ein offenes Ende hat, liegt die Vermutung nahe, dass Joe Benitez ursprünglich eine längere Serie geplant hatte oder sich zumindest die Option auf eine Fortsetzung offen halten wollte.
Mag man die Top-Serien von Image, wird man auch an „Wraithborn“ viel Spaß haben. Die Mini-Serie ist sehr hübsch gezeichnet, die Story bietet all das, was Genre-Fans wünschen – aber mehr oder Ungewöhnliches darf (will!) man nicht erwarten. Positiv ist, dass die komplette Serie inklusive Bonus-Material in einem Sammelband vorliegt, so dass man ein abgeschlossenes Abenteuer erhält, für das keinerlei Hintergrund-Kenntnisse benötigt werden. Für Sammler spannender und ansprechend illustrierter Comics ist der Titel darum genauso ein Leckerbissen wie für Gelegenheitsleser.