Der große Tote 2
Pauline
Régis Loisel (Idee, Szenario), JB Djian (Szenario), Vincent Mallié (Zeichnungen), Francois Lapierre (Farben)
Aus dem Französischen von Uwe Löhmann
Titelillustration von Vincent Mallié
(Le Grand Mort 2: Pauline, 2008)
Ehapa, 2009, Hardcover, 60 Seiten, 12,00 EUR, ISBN 978-3-7704-3168-7
Von Irene Salzmann
Die Pariserin Pauline lernt durch eine Wagenpanne den netten, aber etwas seltsamen Erwan und den kauzigen Meister Christo kennen. Beide Männer glauben an Magie, wofür sie von der aufgeklärten Studentin belächelt werden, bis „die Tränen der Bienen“ (Band 1) ihr die Augen öffnen und sich dadurch das Tor in eine andere Welt für sie öffnet. Trotz des Verbots folgt sie Erwan, der ausersehen ist, ein Ritual zu vollziehen, das den Frieden in diesem fabelhaften Reich bewahren soll. Zusammen mit Repräsentanten der vier Völker begeben sie sich an einen Ort, an dem „der große Tote“ ruht.
Allerdings muss Pauline kurz vor dem Ziel zurückbleiben. Zum einen darf sie die Zeremonie nicht stören, zum anderen geht es ihr nicht gut. Der Schreck ist groß, als die anderen später feststellen, dass Pauline spurlos verschwunden ist! Damit nicht genug: Eine Verräterin befindet sich unter ihnen, die die Kameraden tötet und sich an Erwan, der nach dem Ritual ohnmächtig ist, vergeht, um ihre Machtgier zu befriedigen.
Nach Pauline kehrt auch Erwan in seine Welt zurück, aber nichts ist mehr so, wie es vorher war. Erneut findet er keinen Hinweis auf den Verbleib der jungen Frau. Dann muss er erfahren, dass viele Monate vergangen sind, Meister Christo gestorben und seine Habe verkauft ist. Überall herrscht das Chaos: Arbeitslosigkeit, Hunger, Seuchen, Umweltverschmutzung, Naturkatastrophen, Kriege.
Erwan zögert nicht, nach Pauline zu suchen und jeder noch so vagen Spur zu folgen. Eine wahre Schnitzeljagd beginnt, und immer kommt er einen Tick zu spät. Schließlich erfährt er, dass Pauline eine Tochter hat, doch scheint das Mädchen sehr viel älter zu sein, als es das rein rechnerisch dürfte. Immerhin gelingt es ihm, Paulines Freundin Gaelle aufzuspüren, die sich ebenfalls sehr sorgt – und in deren Wohnung Erwan eine erstaunliche Entdeckung macht…
Lange musste man auf die Fortsetzung von „Der große Tote“ warten, doch die Geduld hat sich gelohnt, denn Teil 2, „Pauline“, ist mindestens so spannend und faszinierend wie der Auftakt, „Die Tränen der Bienen“. Nahtlos wird die Geschichte von Erwan und Pauline fortgesetzt, doch wechselt die Erzählperspektive nun, nachdem man zuerst mit Paulines Augen die Wunder einer magischen Welt bestaunte, zu Erwan.
Eigentlich hatte die Zeremonie, an der der junge Mann und die Vertreter der vier Völker teilnahmen, den Frieden bringen sollen, doch eine Verräterin machte alles zunichte. Die Auswirkungen für die phantastische Welt werden nicht näher beschrieben, da Erwan und Pauline in die ihre zurückkehren – und dort mit den verheerenden Konsequenzen konfrontiert werden, die man aus den aktuellen Nachrichten kennt. Das macht den Comic zeitnah und erschreckend realistisch.
Erwan passt sich den neuen Begebenheiten überraschend schnell an und findet auf seiner Suche nach Pauline immer wieder freundliche Helfer, die sich trotz aller Probleme ihre Menschlichkeit bewahrt haben. Nach und nach erfährt er, warum die junge Frau ihr Studium aufgab und seither ständig umziehen muss: Sie wurde schwanger, und das Kind entwickelt sich schneller, als normal - offensichtlich eine Folgeerscheinung des Besuchs in der anderen Welt, wo die Zeit ganz anders verläuft. Aufmerksame Leser haben Ähnliches nach den geschickt eingestreuten Hinweisen sicher erwartet.
Natürlich endet der Band an einer spannenden Stelle. Erwan stöbert Paulines Freundin auf – und mehr. Welche Erklärung Gaelle dafür zu bieten hat, wird erst der dritte Teil verraten, dessen Erscheinungsdatum leider noch nicht bekannt ist. Auch in Frankreich liegt die Fortsetzung noch nicht vor.
Angesichts der aufwendigen Illustrationen, die stimmungsvoll koloriert sind, wundert es nicht, dass der Zeichner viele Monate in jedes Album investiert. Jedes Panel lädt zum längeren Betrachten ein. Die Landschaften, Gebäude und Personen sind realistisch dargestellt – es macht einfach Spaß, all die liebevollen kleinen Details zu entdecken und die zumeist warmen Farben zu genießen.
„Der große Tote“ ist eine faszinierende Fantasy-Serie mit bedrückend realistischen, zeitgemäßen Bezügen, die sich vor allem an ein reiferes Publikum wendet, das das Genre nicht allein durch Elfen, Zwerge und endlosen Schlachten definiert. Es sind vor allem die zwischenmenschlichen Momente, die feinen und die drastischen Anspielungen, sowie die Wunder einer fremden Welt, die fesseln. Statt Klischees und sattsam bekannter Motive findet man erfrischend Neues, das spannend aufbereite wurde. Eine tolle Serie, die sich Sammler nicht entgehen lassen sollten!