Caitlin Sweet
Der Ketzer der Shonyn
Die Chroniken von Luhr 2
(The Silences of Home, 2005)
Aus dem Kanadischen von Marie-Luise Bezzenberger
Titelcollage von Tertia Ebert, Bridgeman Art Library
Goldmann, 2007, Paperback, 608 Seiten, 12,00 EUR, ISBN 978-3-442-46552-1,
Von Britta van den Boom
Der zweite Roman aus der Reihe „Die Chroniken von Luhr“ ist viele Jahrzehnte vor den Geschehnissen, die in „Die Seher von Iben“ beschrieben wurden, angesiedelt. Wurden in dem ersten Band die Taten der glanzvollen Königin Galha und ihr Rachefeldzug gegen das Meervolk als ein Teil der Historie beschrieben, so findet „Der Ketzer der Shonyn“ genau in dieser bewegten Zeit statt. Das ist zu Beginn etwas befremdlich, denn im Grunde weiß man, was passieren wird und wie die Ereignisse sich entwickeln. Aber Caitlin Sweet beweist ihren Sinn für lang gesponnene, verworrene und kunstvolle Erzählungen, indem sie es trotzdem schafft, den Leser neugierig durch die Geschichte zu ziehen und dabei zu zeigen, dass bei Weitem nicht alles so ist, wie es in ihrem ersten Buch den Anschein hatte.
Es gibt viele Personen, die den Leser durch die abenteuerlichen Geschehnisse begleiten – zuweilen bekommt man den Eindruck, es könnten sogar zu viele sein, auch wenn ihre Schicksale sich nach und nach umeinander flechten und letztlich ein harmonisches Gesamtwerk bilden. Caitlin Sweet beeilt sich nicht, in ihrer Art zu erzählen, sie lässt jedem der Charaktere viel Raum für die Entfaltung seiner Gedanken, seiner Veränderungen, ohne dass sie jemals eine wirkliche Einsortierung in ‚gut’ oder ‚böse’ vornimmt. Gerade die Gelassenheit und Liebe zum Detail sind es, die dem Roman eine Tiefe und Wirklichkeit geben, die im Fantasy-Genre nicht selbstverständlich sind. Es wird nicht nur beschrieben, was die Protagonisten tun und wie es sich auf ihre Begleiter und die Welt auswirkt, sondern der Leser versteht auch, warum sie es machen.
Diese Art des Erzählens schafft den Eindruck, dass der Roman sich in Wellen bewegt. Phasen von Aktionen und abenteuerlichem Geschehen wechseln sich ab mit solchen der Stille, ja, fast der Kontemplation, in denen sich der Leser fragen kann, wohin sich die Erzählung wohl bewegen mag oder ob sie gänzlich zur Ruhe gekommen ist, ebenso wie die Charaktere selber. Ein klassischer Romanaufbau, bei dem sich alle Ereignisse zu einem Finale hin entwickeln, nach dem dann nur noch schnell ein paar lose Erzählfäden abgeschlossen werden, ist hier kaum erkennbar.
Das könnte „Der Ketzer der Shonyn“ fast etwas zu geruhsam, vielleicht sogar langweilig machen, würde nicht die angenehme, malerische, zuweilen nahezu poetische Schreibweise von Caitlin Sweet einen Ausgleich schaffen, so dass man sich als Leser auch gerne durch die stillen Passagen tragen lässt. Darüber hinaus gelingt es der Autorin, ihre Charaktere so darzustellen, dass man wirklich wissen möchte, wie es ihnen weiter ergeht, wo Liebe siegt oder vergeht, wo jemand seinen Frieden gewinnt oder scheitert, wo alte Gefährten sich wieder finden oder neue zusammen kommen, wo sie sich in Wahrheiten und Lügen verlieren oder neu entdecken.
Der englische Titel des Buches, „The Silences of Home“, fasst das Gefühl der Geschichte dann auch sehr viel besser zusammen als der deutsche, der sich als ziemlich leer und unpassend erweist, denn letztlich geht es den Charakteren bei all ihren Reisen und Wanderungen, bei den Abenteuern und Entscheidungen darum, eine Heimat für sich zu finden. So bewegen sie sich in Kreisen von Aufbruch und Wiederkehr und erkennen, dass man schwerlich an einen Ort zurückkehren kann, der einmal die Heimat war, wenn man sich selber zu sehr verändert hat.
Damit ist „Die Ketzer der Shonyn“ letzten Endes ein Reiseroman der besonderen Art, bei dem der Leser die Charaktere auf ihren äußeren, wie auch den inneren Wegen begleitet.