Das Goldene Jahrhundert 1
Alphonse
(Le Grand Siecle: Alphonse)
Text & Artwork: Simon Andriveau
Übersetzung: Resel Rebiersch
Lettering: Delia Wüllner-Schulz
Splitter, 2009, Hardcover, 48 Seiten, 13,80 EUR, ISBN 978-3-868690-38-5
Von Frank Drehmel
Simon Andriveau führt uns in seiner Geschichte nach Frankreich in das 17. Jahrhundert, genauer in das Jahr 1666. Seit fünf Jahren herrscht am französischen Hofe nach dem Tod Kardinal Mazarins alleinig mit absolutistischer Macht Louis XIV, der Sonnenkönig. Doch der Glanz und Pomp des Hofes interessieren den Tagelöhner Alphonse herzlich wenig. Er, der ein keifendes Eheweib und ein kleines Gör sein eigen nennt, erträgt seine Frau und das Jammertal des Lebens nur, indem er dem Alkohol frönt und einmal im Monat den Blick auf die wunderschöne Tochter des Ritters Beaumont erhascht. Und dieser Zeitpunkt ist wieder gekommen, denn Alphonse monatliche Warenlieferung für den Ritter steht an.
Gerade als der Tagelöhner mit seinem Handkarren das Anwesen erreicht, durchbricht ein markerschütternder Schrei die Stille. Alphonse stürzt ans Fenster des Gutshauses und sieht drei finstere Gestalten – ein Mann namens Moplai sowie zwei Mordbuben -, die das Mädchen und den Vater auf der vergeblichen Suche nach einem geheimen, das Königshaus kompromittierenden Dokument schon umgebracht haben und sich nun des kleines Sohnes Beaumonts entledigen wollen. In einem Augenblick, als die Mörder abgelenkt sind, lässt Alphonse sein ganzes bisheriges Leben hinter sich, ergreift todesmutig den Kleinen und flieht, verfolgt von den Tätern, in die Wälder.
Mit knapper Not können sie ihren Häschern entkommen und finden zunächst Schutz bei einer Roma-Sippe, die sich selbst von Mördern wie Moplai und seinen Schergen nicht einschüchtern lässt. Doch auch wenn das Leben dort für kurze Zeit Frieden und Ruhe verspricht – abgesehen von einigen wenigen Anfeindungen gegenüber den „Gadje“ -, ist die Gefahr für die Zeugen des Mordes nicht gebannt, denn die Auftraggeber der Untat sitzen in den höchsten Kreisen und wissen Soldaten zu mobilisieren. Zudem will sich der ob des Fehlschlages bei seinem Herren in Ungnade gefallene Moplai mit seiner Niederlage nicht abfinden und schmiedet einen eigenen Plan.
Für den 1978 in Reims/Frankreich geborenen Simon Andriveau stellt „Das Goldene Jahrhundert“ sein Comic-Debüt dar. Dass es sich bei dem Künstler und Autor in Personalunion nicht um einen autodidaktischen „Amateur“ handelt, sondern um einen akademische gebildeten Könner mit Animations-Erfahrung, wird allerdings schon nach wenigen Seiten deutlich, denn das Artwork ist sowohl in Zeichnung als auch Kolorierung extraordinär.
Mit vergleichsweise sparsamen, exakten Strichen entwirft Andriveau seine einzigartigen Charaktere, die sich vor allem durch ihre markanten, ausdrucksstarken, lebendigen Gesichter auszeichnen. Dabei legt er weniger Wert auf einen naturalistischen Anstrich um jeden Preis, als vielmehr auf das Einfangen von Emotionen. Hierfür opfert er zuweilen den zweifelsohne vorhandenen Realismus zugunsten einer leichten – niemals karikierenden - Überzeichnung insbesondere der Augen- und Mundpartien.
Die detailreichen Hintergründe, stimmige Accessoires und Ambiente sowie eine lebhafte, sich zwar an natürlichen Farben orientierende, aber leicht ins Düstere spielende Kolorierung lassen das 17. Jahrhundert vor den Augen des Lesers aufleben, wobei insbesondere die architektonischen Bildelemente von bestechender Authentizität sind.
Die Story selbst ist ein klassisches, zwar einfach konstruiertes, aber um so spannenderes, von lebendigen und/oder sympathischen Charakteren getragenes Mantel-und-Degen-Abenteuer, in dem geschichtliche und literarische Anspielungen – die Schlacht von Rocroi, der Mann mit der eisernen Maske, u.a. – historisierend den authentischen Hintergrund der Geschichte betonen.
Die editorische Qualität entspricht zwar alles in allem dem gehobenen Splitter-Standard, allerdings scheint mir der Druck insgesamt etwas zu dunkel geraten, so dass Farbnuancen und -kontraste gedämpft wirken.
Fazit: Ein in erzählerischer und künstlerischer Hinsicht rundum gelungenes Comic-Debüt Simon Andriveaus. Für Freunde exzellent gezeichneter historischer Abenteuergeschichten eine unbedingte Empfehlung.