Thal, Lilli: MIMUS (Buch)

Lilli Thal: Mimus, Originalausgabe im Gerstenberg Verlag 2004, Titelillustration Dieter Wiesmüller, ISBN 3-8067-5029-7, 445 Seiten, Euro 15.90

Von Carsten Kuhr

Es ist inzwischen eine Tatsache, dass viele der interessantesten Titel heutzutage bei Jugendbuchverlagen aufgelegt werden. Kassenschlager wie Harry Potter weisen hier nur den Weg. Auf den Auswahllisten zum Deutschen Jugendbuchpreis tummeln sich interessante Romane zuhauf. Einer davon, Lilli Thal´s „Mimus“ erregte mein Interesse. Ist das ein phantastischer Roman, so fragte ich vor Beginn der Lektüre. Nun, das Werk spielt in einem fiktiven Königreich, die Gestalten sind erdacht, aber übersinnliche Elemente kommen nicht vor. Warum ich das Buch dann trotzdem hier vorstelle, wollen Sie wissen? Weil es ein klasse Abenteuerschinken ist, darum.

Seit Jahrzehnten liegen die beiden Königreiche Monfiel und Vinland im Krieg. Der amtierende König von Monfiel erschlug im Wettstreit um die Hand einer Prinzessin der Thronerben Vinlands. Schlimmer noch, er verhöhnte die trauernde Familie des Getöteten, und schändete den Körper des Unterlegenen. Nun, nach zähen Verhandlungen soll endlich mit dem verlustreichen Krieg ein Ende sein. Der König Monfieliers reitet mit den edelsten seiner Untertanen zum Friedeskuss nach Vinland, und wird dort verraten und eingekerkert. Auch Florin, der Kronprinz Monfiel´s wird am fremden Hof in die Falle gelockt und gefangen gesetzt. Während sein Vater im Kerker tagtäglich die Demütigungen und Folterungen seiner Peiniger erdulden muss, wird Florin gezwungen, beim örtlichen Narren, Minus in die Lehre zu gehen. Er soll gebrochen werden, ehe auch er auf dem Richtblock sein Leben unter dem Beil des Henkers gibt. Unser Protagonist verliert nicht nur seine Freiheit, seine Ehre, nein auch der Pfarrer spricht ihm das Recht ab, am Gottesdienst teilzunehmen. Statt dessen lernt er es, den Mächtigen in satirischen Versen ihre Schwächen vor Augen zu halten, sie bis zur Grenze zu reizen, ohne diese unsichtbare Trennlinie zu überschreiten, denn sonst droht die Folter.


Nun könnte man annehmen, dass es in diesem Buch von Gewaltbeschreibungen wimmelt, dass uns Kämpfe und Tote zuhauf begegnen. Doch dem ist nicht so. Der Autorin gelingt es, ihre Gestalten in den Mittelpunkt zu stellen - nicht aber die dumpfe Schilderung von Kämpfen. Wir verfolgen mitfühlend mit, wie unser Protagonist in die Falle tappt, erleben seine Hilflosigkeit, sein erstes Aufbäumen gegen die Situation. Da er jedoch weiss, dass sein gefangener Vater jedes Aufbegehren büssen muss, erlahmt sein aufkeimender Widerstand nur allzu bald.
Trotzdem ergibt sich Florin nicht einfach hilflos in sein Schicksal, sondern er sucht danach, trotz aller Demütigungen sein Selbstwertgefühl zu wahren, er selbst zu bleiben. Dass es der Autorin gelingt, uns diesen Prozess nachvollziehbar zu schildern, ist einer der grossen Pluspunkte des Romans.
Ein weiteres Pfund, mit dem das Buch wuchert ist die Gestalt des Mimus. Ein Mann, der ein wenig mysteriös ist und über die gesamte Länge des Romans auch bleibt. Er wird gegängelt und missbraucht, ist aber seinem Herren – in Massen – treu verbunden. Zum Finale schlägt er sogar die Möglichkeit aus, seinem Joch zu entfliehen und frei zu sein, bleibt lieber der Spiegel, der den Mächtigen vor Augen gehalten wird, anstatt einem ruhigen, langweiligen Leben nachzugehen. Er schliesslich ist es auch, der die ersten Schritte auf dem Weg eines vorsichtigen Friedens vorschlägt. Ich hätte, das gebe ich gerne zu, mehr über diesen Mann erfahren wollen. Wieso nimmt er sein Schicksal letztlich bereitwillig an, ist es die Möglichkeit, ungestraft Kritik zu üben, wie es sonst keiner ausser ihm kann, ist es der Reiz der Macht, der darin verborgen liegt, der ihn die schwierigen und kargen Zeiten überstehen lässt – der Phantasie des Lesers bleibt es hier überlassen, zu spekulieren.
Dieses Buch hat alles, was einen guten Roman auszeichnet; - faszinierende Personen, eine spannende Handlung und Möglichkeiten über die Erzählung hinaus sich mit dem Erzählten auseinanderzusetzen, weiterzudenken – oder auch nicht.

hinzugefügt: August 19th 2004
Tester: Carsten Kuhr
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