Canari 2
Die letzte Welle
Didier Crisse & Carlos Meglia
Aus dem Französischen von Tanja Krämling
(Canari: La dernière vague, 2007)
Splitter-Verlag, 2007, Hardcover, 48 Seiten, 12,80 EUR, ISBN 978-3-939823-19-3
Von Frank Drehmal
Als Canari, ihre beiden kleineren Geschwister - die Zwillinge Xuma und Kya – sowie Xoalquopak, der Fremde aus dem Schattenreich, jenen Ort – die Höhle des Schädels - aufsuchen, an dem Kya den goldenen Armreif gefunden hat, den sie nun nicht mehr abstreifen kann und der ihr Qualen bereitet, erhebt sich plötzlich ein gigantisches Portal aus dem Boden. Durch dieses Tor geleitet sie die Göttin des Himmels, Citaligua, in ihr Reich – die dritte Sphäre, die Stadt aus Luft und Wasser -, nachdem sie den Kindern eröffnet hat, dass der verfluchte Armreif für einen Gott bestimmt sei und nur von diesem Gott entfernt werden könne. In der Himmelsstadt jedoch erfahren die vier von Chalchiuhlicue, der Göttin der Vorahnung, dass der Reif keineswegs von Göttern oder Menschen geschmiedet wurde, sondern von den Großen Alten, die daher auch als einzige in der Lage sind, das Artefakt zu entfernen. Allerdings sind diese Wesen vor langer Zeit an einen unbekannten Ort verschwunden, sodass nach Chalchiuhlicues Ansicht Kya lernen muss, den Reif als ihr Eigen zu akzeptieren, um die Qualen des Tragens in den Griff zu bekommen.
Doch Kyas Problem ist ein Lappalie im Vergleich zu dem Schicksal, welches Xaotil, den kleinen verschwundenen Bruder Canaris erwartet: er wurde entführt, um als Menschenopfer, dargebracht von seinem eigenen Vater, die Verbindung zwischen Göttern und Menschen auf ewig zu zerstören, damit Canaris Volk fortan in vermeintlicher Freiheit lebe.
Während die junge Indianerin und ihre Verbündeten versuchen, den Kleinen zu retten, macht der Surfer Wayne, den es seit vielen Jahren nach Tulum zieht, Jahrhunderte später in der noch immer existenten Höhle des Schädels seltsame, mystische Erfahrungen. Nicht nur, dass er den Armreif findet, den Kya einst trug, auch fremde Stimmen scheinen durch Raum und Zeit zu ihm zu dringen. Je mehr Wayne in den folgenden Tagen versucht, das Rätsel des Fundstücks zu entschlüsseln, desto introvertierter wird er zwar, desto näher kommt er jedoch dem tragischen Geschehen, das ihn mit Cañari durch die Zeiten verbindet.
War der erste Band noch eine kurzweilige Tour de Force durch Dschungel und Götterwelt Yucatans, so ist das zweite Album vor allem eines: anstrengend! Drei Handlungsbögen auf zwei Zeitebenen erfordern nicht nur die Aufmerksamkeit des Lesers, sie überstrapazieren auch seine Geduld. Während Waynes schwerfällige beziehungsweise schwermütige Identitätssuche im Hier und Jetzt umständlich breit getreten wirkt, ist das Geschehen in „Canari-Zeit“ geprägt von einem überhektischen, unübersichtlichen Aktionismus zahlreicher Götter, Nebengötter und Menschen, in dem die einzelne Figur zur belanglosen Nebensächlichkeit verkommt und indianische Mythologie kaum mehr als Staffage taugt. Weitgehend verschwunden mit der Leichtigkeit ist auch der lockere Humor des ersten Bandes, der die Dialoge der Geschwister auszeichnete. An seine Stelle sind die platten Sprüche von Waynes tumben Kumpels getreten, die alles sind, nur nicht lustig, während die passiven Indianerkinder zum staunenden Schweigen verdammt wurden.
Die Änderungen im zweiten Band beschränken sich nicht auf die inhaltliche Ebene, auch künstlerisch hat sich einiges getan. Zwar holt Meglia nach wie vor aus seinem Computer an digitalen, optischen Effekten alles raus, was Softwareentwickler zuvor reingesteckt haben, doch gnädigerweise hat er sich nun dazu durchgerungen, Figuren und Bildelemente durch dunkle Konturenlinien gegen die Hintergründe abzugrenzen, anstatt sie in einem Brei aus überwiegend hellen Brauntönen visuell untergehen zu lassen. Zudem ist die Kolorierung insgesamt dunkler und farbintensiver geworben, was allerdings in Verbindung mit vielen kleinteiligen, diffizil gezeichneten Bildelementen sowie dem kantigen, dynamischen Duktus dazu führt, dass einzelne Panels optisch massiv überladen wirken.
Fazit: Die hektische, wenig stringente Handlung und visuell überladenen Zeichnungen machen dieses zweite „Canari“-Album zu einer eher anstrengenden Leseerfahrung.