Fee (Sammelband)
(Fee et tenders automates: 1. Jam, 2. Elle, 3. Wolfgang Miyaké, 2007)
Téhy/Tierry Terrasson (Szenario, Charakter-Design, Illustration)
Beatrice Tillier (Charakter-Design, Illustration)
Nicole LeClerc (Illustration)
LePrince (Farben)
Aus dem Französischen von Tanja Krämling
Titelgestaltung von Dirk Schulz
Splitter, 2008, Hardcover, 160 Seiten, 29,80 EUR, ISBN 978-3-93823-89-6
Von Irene Salzmann
In einer fernen Zukunft vegetieren die Menschen in dem Megakomplex Calotta nur noch vor sich hin, strikt getrennt in Arm und Reich, unter Krankheiten, Hunger und Krieg leidend. Allein die abgelegene Festungskathedrale von Mister Sir Crumpett’s scheint unberührt von all den Schrecknissen, die sich außerhalb der dicken Mauern abspielen. Das Ziel des alten Mannes ist es, eine Marionette mit Feenaugen, die über einen einzigartigen Zauber verfügen, zu erschaffen und durch sie das Schöne und Gute in die Welt zurückzubringen.
Leider erweist sich auch sein neuestes Werk als fehlerhaft, und so entlässt Mister Sir Crumpett’s Jam in die Schar der anderen bizarren Automaten. Traurig, weil er seinen Schöpfer enttäuscht hat, streift Jam durch das riesige Gebäude – und findet zwischen tausenden von aufgegebenen Puppen eine Fee. Sie hat die schönsten Augen, die man sich vorstellen kann, und ist fast vollkommen. Gerade als Mister Sir Crumpett’s ihr ein Paar Lippen verleihen und sie beleben will, wird das Haus von den hungernden und mordlüsternen Menschen gestürmt.
Die Marionetten und ihr Vater sterben. Nur Jam und die Fee überstehen die sinnlose Zerstörung, werden jedoch getrennt. Als Jam über hundert Jahre später dem Kühlbehälter entsteigen kann, beginnt seine verzweifelte Suche nach der geliebten Fee…
„Fee“ ist eine traurige, märchenhafte Geschichte, entworfen von Téhy („Yiu“, „Der Engel & der Drache“) und Beatrice Tillier. In ihr findet man die charakteristischen Elemente der Endzeit-SF genauso wie Anspielungen auf „Pinocchio“ und Asimovs „Roboter“-Storys. Die zugrunde liegende Frage lautet: Was ist Menschlichkeit, was macht einen Menschen aus – als solcher geboren zu sein oder wie einer zu handeln und zu fühlen?
Im Mittelpunkt der dreiteiligen Erzählung steht Jam, der auf den ersten Seiten in ein Museum einbricht, um seine Fee zu befreien. Sie lebt noch, öffnet die Augen und erkennt ihn, als er vor ihr steht. Aber Jam wird entdeckt und muss fliehen. Während er darüber nachdenkt, wie er die Fee in Sicherheit bringen kann, koste es, was es wolle, erinnert er sich an all die tragischen Geschehnisse seit seiner Geburt. Erneut wagt es Jam, der Spur seiner Fee zu folgen, deren Schönheit auch andere immer noch fasziniert. Inmitten der Kriegswirren flüchten sie aus dem Schloss des Herrschers und…
Zwei kontrastreiche Welten prallen aufeinander, zum einen der heiter-versponnene Mikrokosmos der Marionetten und ihres Schöpfers, der sich ganz dem Finden der Feenaugen verschrieben hat, zum anderen der düstere Wahnsinn der Menschen, die nur zerstören können. Kaum keimt Hoffnung, wird dieser Funke sogleich wieder ausgelöscht. Das Ende ist bittersüß und passt zur unheilvollen, bedrückenden Atmosphäre, die die Bilder auch durch ihre Farbgebung zum Ausdruck bringen: Warme Rottöne (Blut, Gefahr) dominieren, sobald die Menschen agieren und ihren niederen Trieben freien Lauf lassen, indem sie stehlen, vergewaltigen, töten, vernichten; während kühle Blaunuancen (wie ein klarer Gebirgssee) vorherrschen, sobald die Fee oder andere Puppen involviert sind. Die Farbe symbolisiert ihre Reinheit und Unschuld, die von den Menschen, was sie den Marionetten auch antun, nicht befleckt werden kann.
Tatsächlich sind die Automaten weitaus menschlicher als die Menschen, denn sie haben Gefühle, Erinnerungen – und sie empfinden Liebe. Die Menschen dagegen sind zu Automaten geworden, die nur an sich selber denken, allein ihren Grundbedürfnissen folgen, alles pervertiert haben, kein Mitgefühl und keine Liebe mehr kennen. Sie reißen alles mit sich in den Abgrund, auch jene, die überhaupt nichts mit ihren Konflikten zu tun haben.
Die Zeichnungen sind realistisch, zart, sehr hübsch und gewinnen noch durch die stimmungsvolle, sorgfältige Kolorierung. Schätzt man zudem den Mix aus desillusionierender Endzeit-SF und Hoffnung transportierendem Märchen, löst man gern Metaphern auf – dann sollte man sich „Fee“ nicht entgehen lassen, denn die Summe aus allem macht „Fee“ zu einem Highlight der frankobelgischen Comickunst.