Melanie Schober
Personal Paradise: Assassin Angel
Carlsen, 2009, Taschenbuch, 196 Seiten, 5,95 EUR, ISBN 978-3-551-79123-8,
Von Irene Salzmann
„Assassin Angel“ ist bereits der dritte in sich abgeschlossene Band der Serie „Personal Paradise“, geschrieben und gezeichnet von der Österreicherin Melanie Schober. Standen in „Personal Paradise“ 1 Anna und Julian im Mittelpunkt, kreiste die Handlung von „Miss Misery“ um Marianne, die sich zwischen ihrem Bruder Mike, dem Anführer der Westside-Gang, und dessen Kontrahenten Nicholas, Leader der Northside-Gruppe, entscheiden musste. Mit den Figuren aus Band 2 gibt es ein Wiedersehen in „Assassin Angel“, nicht aber mit jenen aus dem ersten Buch – allerdings ist die Handlung auch so schon sehr komplex, denn neue Charaktere werden eingeführt, und jene, die bislang Nebenrollen innehatten, sind stärker involviert.
Jo ist eine Mutantin. Von ihrem Vater wurde sie von klein auf trainiert, um für Gott Sünder zu eliminieren. Nicht nur kann sie den Geist ihres Vaters sehen und mit ihm sprechen, sie kennt auch alle Vergehen ihrer Opfer. Als sie Bianca tötet, die Ex von Nicholas und Mike, sorgt die Tat für viel Unruhe bei den Gangs. Wüsste man, dass Jo die Mörderin ist, würde man sofort die Jagd auf sie eröffnen.
Der Einzige, der das Geheimnis kennt, ist Andy, ein Kumpel von Mike und ihr Ex. Mit seinem Wissen erpresst er Jo, damit sie zu ihm zurückkommt. Das Mädchen hat keine andere Wahl, obwohl sie genau weiß, was sie erwartet: totale Kontrolle, Schläge, schlechter Sex. Prompt versucht sie, sich diesem Gefängnis von Zeit zu Zeit zu entziehen und lernt dabei Mike näher kennen.
Die Situation eskaliert, als Andy ihr auf die Schliche kommt und Jo gegen Mike benutzen will, um selber Anführer der Westside-Gang zu werden…
Melanie Schober beschreibt eine Dystopie, die in der nahen Zukunft spielt: Rivalisierende Jugendbanden kontrollieren die Stadtviertel, und nur wer dazu gehört, kann in dieser grausamen Gesellschaft überleben. Die Gangs sind eine Kader-Schmiede; wer sich durchsetzt, hat als Erwachsener eine Chance, einen gut bezahlten Job in einem Konzern zu finden und ein besseres Leben abseits der Slums zu führen.
Das Milieu, die Bandenkriege und die Beziehungsdramen erinnern etwas an „Shadowrun“ und „West Side Story“. Es gibt die ‚Guten’, die notgedrungen tun, was für ihr eigenes Überleben und das der Freunde notwendig ist, und die blutige Auseinandersetzungen vermeiden wollen. Des Weiteren finden sich einige ‚Fehlgeleitete’, die durch eine Krise vielleicht zur Besinnung gebracht werden und langsam umdenken. Und natürlich dürfen die ‚Bösen’ nicht fehlen, die zu den Problemen, die ohnehin schon jeder bewältigen muss, noch ärgere Schwierigkeiten hinzufügen.
Triebfeder für das Verhalten der Protagonisten sind Angst, Eifersucht, Neid, Hass und Machtgier. Auch der „Assassin Angel“ muss schließlich erkennen, dass sie nicht frei ist von persönlichen und niederen Beweggründen. Schließlich muss sie eine Entscheidung treffen, die mit großer Wahrscheinlichkeit ihr eigenes Schicksal besiegelt.
Die Charaktere laden nur schwerlich zur Identifikation ein, dafür sind sie einfach zu skrupellos, brutal oder auch nur zu bizarr dargestellt. Tabak, Alkohol, Drogen und Gewalt gehören zu ihrem Alltag und werden so selbstverständlich thematisiert, dass es fast schon verharmlosend wirkt und die vage Kritik untergeht. Auch optisch sind die Figuren zu schrill mit ihren Zackenfrisuren, den unzähligen Piercings und Tattoos an allen möglichen und unmöglichen Stellen und den Goth-Punk-Outfits, die vermutlich von den japanischen Visual Key-Bands inspiriert wurden.
Übten die beiden anderen Bände noch deutliche Gesellschaftskritik, so ist „Assassin Angel“ durch seine extremen Protagonisten und die vordergründigen Gewaltszenen nur noch bedingt eine (fiktive) Milieu-Studie, die negative Entwicklungen anprangert, sondern mehr ein auf Unterhaltung ausgelegtes Action-Drama. Manche Ereignisse wirken einfach zu drastisch und direkt, auf den Plot zurechtgeschnitten und vereinfacht, um wirklich überzeugen zu können.
In Folge ist „Assassin Angel“ in erster Linie ein Titel, der sich an die treuen Leser der Reihe wendet, die älter geworden sind und härtere Szenen verkraften können, und an all jene, die sich für die Werke westlicher Manga-Künstler interessieren. Quereinsteiger werden keine Probleme haben, der Handlung folgen zu können, doch sollten sie ein Faible für düstere Zukunftsvisionen und schräge Szene-Kids mitbringen. Aufgrund einiger Sex-Szenen wird der Band in Folie eingeschweißt ausgeliefert und einem Publikum ab 16 Jahren empfohlen.