Davis Grubb/John D. MacDonald/Henry Farrell:
Die Nacht des Jägers/Kap der Angst/Was geschah wirklich mit Baby Jane?
Originaltitel: The Night of the Hunter (1953)/The Executioners (1957/58)/Whatever Happened to Baby Jane? (1960).
Übersetzung von: Helmut Grass/Charlotte Richter/Gisela Stege.
Erftstadt: Area Verlag 2004.
795 Seiten. 9,95 Euro.
ISBN 3-89996-075-0
von Gunther Barnewald
Die vorliegende Ausgabe enthält drei klassische Romane, die Vorlagen für berühmte Hollywoodfilme darstellen.
Im Falle der beiden “Psychopathenromane” Die Nacht des Jägers und Kap der Angst gab es sogar jeweils zwei Umsetzungen der Stoffe zu Filmen. Während bei John D. MacDonalds Werk beide Verfilmungen als gelungen angesehen werden können, gilt dies für Davis Grubbs Roman nur im Fall der ersten Umsetzung aus dem Jahr 1955.
Hier spielt Robert Mitchum die Hauptrolle. Da der ursprünglich für den Film eingeplante Regisseur ausfiel, übernahm der geniale Schauspieler Charles Laughton die Regie (leider blieb es seine einzige Regiearbeit, was in Anbetracht der abgelieferten Arbeit die Filmfreunde nahezu in die Verzweiflung treibt!). Er erschuf ein unglaublich fesselndes, wegen seiner surrealen Bilder auch von Fans der Phantastik verehrtes Meisterwerk, welches einfach nicht perfekter hätte inszeniert werden können.
Deshalb war der Versuch eine erneute Interpretation dieses Jahrhundertfilms völlig überflüssig und man sollte den Mantel des Schweigens über diesen gescheiterten Versuch hüllen.
Anders beim Kap der Angst, in dessen erster Version ebenfalls Robert Mitchum, neben Gregory Peck, die Hauptrolle spielte. Zwar wird auch diese Version sehr geschätzt, war jedoch längst nicht so meisterhaft gelungen wie dies bei Die Nacht des Jägers der Fall war. Aus diesem Grund gibt es viele Filmfans, welche die neue Version mit Robert de Nero und Nick Nolte in den Hauptrollen ebenfalls zu schätzen wissen.
Im Fall des dritten hier vertretenen Buches gibt es dagegen nach Wissen des Rezensenten nur eine, wie im Fall der beiden anderen Erstversionen, in Schwarz-Weiß gehaltene Verfilmung. Hier spielen Joan Crawford und vor allem die hervorragende Bette Davis die Hauptrollen.
Während viele Menschen die drei Filme kennen, so kann man im Fall der hier vertretenen Autoren wohl behaupten, dass zumindest zwei von drei der vorliegenden Schriftsteller “Große Unbekannte” sind.
Lediglich der vielseitige Krimi- und Thrillerschriftsteller John D. MacDonald ist hier die Ausnahme und einer größeren Leserschaft bekannt. Seinen Namen kennen sogar besser informierte SF-Fans von seinen drei gutklassigen Romanen Ballroom of the Skies (dt. Herrscher der Galaxis), Wine of the Dreamers (dt. Planet der Träumer) und The Girl, the Goldwatch and Everything (dt. gekürzt als Flucht in die rote Welt und ungekürzt als Das Mädchen, die goldene Uhr und der ganze Rest) und einigen Kurzgeschichten.
So ist auch der hier vorliegende Thriller lesenswert, professionell erzählt und spannend.
Berichtet wird von einem Rechtsanwalt, der die Rache seines psychopathischen Mandanten zu spüren bekommt, da dieser der Meinung ist, der Jurist habe ihn nicht gut genug verteidigt. Deshalb verfolgt und terrorisiert er den Anwalt und dessen Familie, was bald zu einem perfide Psychokrieg ausartet...
Überraschend gut ist auch Davis Grubbs Erzählung Die Nacht des Jägers, die so perfekt und vor allem nahezu komplett umgesetzt wurde von Charles Laughton.
Hier wurden sogar ganze Motive und Dialoge aus dem Buch für den Film übernommen, und wo der Film neue Szenen entwarf, waren diese meisterhaft entwickelt und der Geschichte perfekt angepasst.
Ansonsten lassen sich aber ca. 98% aller Szenen des Buchs im Film wiederfinden. Dies ist eine Vollständigkeit bei der Umsetzung einer Novelle zum Film, die erst bei der Verfilmung der “Harry-Potter-Filme” in jüngster Vergangenheit wieder gewagt bzw. (in diesem Fall) von der Autorin erzwungen wurde.
Grubb erzählt hier die erschütternde Geschichte zweier Kinder, deren Vater bei einem Raubüberfall zwei Menschen tötete und viel Geld erbeutete. Dieses Geld versteckt er in der Puppe seiner vierjährigen Tochter, verpflichtet diese und den neunjährigen Sohn aber zur Geheimhaltung. Der Vater wird zwar hingerichtet, vorher teilt er die Zelle jedoch mit einem psychopathischen Prediger, von dem der Sheriff aber noch nicht weiß, dass er schon viele Frauen getötet hat. Verhaftet wurde er nur wegen Diebstahls. Der Mann belauscht den Vater der Kinder als dieser nachts im Schlaf spricht.
Nach seiner eigenen Entlassung macht sich der selbst ernannte Prediger deshalb an die Witwe heran, heiratet und tötet diese und will die Kinder zwingen, das Versteck zu verraten, denn dies ist das einzige, was der Hingerichtete ihm nicht im Schlaf erzählt hatte.
Doch die beiden fliehen vor dem Psychopathen mit einem kleinen Boot den Fluss hinunter, wo sie einer älteren Frau begegnen, welche die Kinder aufnimmt.
Doch schon kurze Zeit später spürt der Prediger die beiden auf und ein Duell um das Leben der Kinder entbrennt zwischen dem Verrückten und der mutigen alten Frau...
Grubbs Werk wird, wahrscheinlich wegen der genialen filmischen Umsetzung, oft unterschätzt. Dies ist bedauerlich, machen seine Ideen und Beschreibungen doch ca. 90% des genialen Films aus. Nur wenig wurde hinzugefügt, so die wunderbare Szene der nächtlichen Flußfahrt der Kinder, das Aufreißen der Puppe gegen Ende des Filmes, als der Junge seinem toten Vater das verfluchte Geld zurückgeben will, welches so viel Leid über die Kinder gebracht hatte, und einige wenige andere Details.
Vor allem die Verzweiflung der Kinder, welche durch die Umstände der Zeit (die Geschichte spielt zur Zeit der Weltwirtschaftskrise, inmitten von Depression und Elend) verstärkt wird, fängt der Autor genial ein.
Aber sicherlich gebührt Regisseur Laughton das Verdienst, aus einer sehr guten Vorlage ein absolutes Meisterwerk erschaffen zu haben, mithin vielleicht sogar einen der 10 bedeutendsten und besten Filme (bezüglich der Optik ist dies definitiv so) aller Zeiten.
Bilder wie die tote Mutter der Kinder, deren Haar auf dem Grund des Flusses, gefesselt an ein altes Modell T von Ford, in der Strömung rhythmisch hin und her schwingt, inmitten klaren Wassers, umrahmt von Seetang, und von der Oberfläche aus zu sehen, oder der Prediger auf einem Pferd am Horizont in der Dämmerung, wirkend wie ein Scherenschnitt, gesehen vom kleinen John vom Dachboden einer Scheune aus und untermalt von jenem religiösen Lied, welches der Prediger häufig zu singen pflegt, oder auch dessen Manierismus mit den tätowierten Händen, die Rechte beschriftet mit “Love”, die Linke mit “Hate”, sind ebenso wie die romantische Flußfahrt der Kinder oder der Schatten des Predigers durch die Gaslaterne vor dem Haus einfach unvergängliche Motive, die denjenigen, der sie einmal gesehen hat, genauso wenig loslassen, wie die beklemmende Atmosphäre des Films oder auch des Buchs.
Leider krankt der Roman Grubbs heutzutage daran, dass die mythischen Bilder des Films dermaßen übermächtig sind und die Erzählung dermaßen übertreffen, dass die Lektüre der Geschichte fast verzichtbar geworden ist.
Ähnliches gilt auch für das dritte Buch, welches ebenfalls qualitativ hochwertig verfilmt wurde und deshalb nur noch eingeschränkt genießbar ist, sieht man beim Lesen doch unweigerlich die Filmszenen vor sich, wenn man diesen kennt. Farrell erzählt hier die Geschichte eines ehemaligen weiblichen Kinderstars, die, nachdem die kleine Schwester zum großen Filmstar wird, in die Vergessenheit zu sinken droht.
Nach einem mysteriösen Unfall der jüngeren Schwester, welcher diese für immer an den Rollstuhl fesselt, vermuten viele, dass die Ältere sich eigentlich nur hatte rächen wollte. So geraten beide fast in Vergessenheit,
Als alte Frauen, verstrickt in eine Art bizarrer Haßliebe, leben beide gemeinsam in einem Haus, als plötzlich die Ereignisse der Vergangenheit durch das Eingreifen äußerer Umstände wieder lebendig zu werden drohen und der Haß erneut aufbricht...
Für alle drei Bücher gilt, dass sie passabel und unterhaltsam zu lesen sind, teilweise sogar hochklassig.
Könnte der medial interessierte Leser sie noch vorbehaltlos wahrnehmen, ohne beim Lesen ständig die Filmbilder wiederkäuen zu müssen, wären diese Ausgabe sicherlich vorbehaltlos empfehlenswert.
So bleibt aber ein etwas schaler Eindruck zurück, was man fairerweise den Werken natürlich nicht anlasten kann.
Wer gerne Bücher zu guten Spielfilmen ließt oder die Verfilmungen noch gar nicht kennt, dem sei die vorliegende Ausgabe wärmstens empfohlen.
Wer die Filme allerdings kennt und lieber die eigene Phantasie gebraucht, sollte die Finger von diesem Band lassen.