Benoit Sokal (Text)
Brice Bingono (Illustration)
Jean-Francois Bruckner (Farben)
Paradise
(1: Regenzeit/2: Die Molgraven/3: Zamarat/4: Die schwarze Truhe)
(Paradise: 1. La saison des orages, 2. Le désert des Molgravs, 3. Zamarat, 4. Le coffre noir, 2005-2008)
Aus dem Französischen von Monja Reichert
Titelgestaltung von Dirk Schulz
Mit einem Vorwort von Gérard Pangon
Splitter, 2009 Hardcover, 206 Seiten, 24,80 EUR, ISBN 978-3-940864-15-4
Von Irene Salzmann
Mauranien schien eines der paradiesischsten Länder Afrikas zu sein. Sein König hatte im Westen studiert und galt lange als der beste Herrscher, den das das Reich jemals hatte. Aber dann geschieht etwas, das ihn verändert und zu einem Despoten macht. Die Rebellen organisieren sich und bringen eine Stadt nach der anderen zu Fall, töten die Königstreuen und bringen Mauranien… was?
In diesen Wirren stürzt ein kleines Flugzeug ab. Die Passagierin überlebt und wird in den Palast von Madargane gebracht. Sie kann sich an nichts erinnern und trägt nur einen Pass bei sich, der sie als Ann Smith ausweist – aber Ann Smith ist die Autorin des Buchs ‚Das verlorene Paradies Mauranien’, das vor rund 100 Jahren veröffentlicht wurde!
Anhand alter Narben wird die junge Frau als Malkia Rodon, die Tochter des Königs, identifiziert. Mit dieser Person will ‚Ann Smith’ jedoch nichts zu tun haben, und doch gibt es ein Band zwischen ihr und einem Panther, dem Spielgefährten der Prinzessin aus Kindertagen. ‚Ann Smith’, die eigentlich nur zurück in die Schweiz will, soll ihn nach Süden bringen und ihm die Freiheit zurückgeben.
Auf ihrem gefahrenvollen Weg findet sie Helfer und Gegenspieler. Viele Menschen, die ihren Pfad kreuzen, werden ermordet. Das Rätsel, wer sie wirklich ist und warum man sich für sie interessiert, wird immer größer, je mehr ‚Ann Smith’ erfährt.
Schließlich setzt ihr Gedächtnis wieder ein. Malkia ist aus einem bestimmten Grund gekommen, aber nachdem dieser nicht mehr existiert, ist auch sie überflüssig geworden, so dass sich auch die angeblichen Freunde gegen sie wenden. Allein der Panther ist immer da und ein zuverlässiger Begleiter, bis…
Ein Nachteil mancher francobelgischer Comics ist eine vage Handlung, die den Leser eines ersten Bandes mitunter ratlos zurücklässt. Auf weniger als 50 Seiten ist es oft nicht möglich, einen komplizierten Konflikt und alle Hauptfiguren - ohne gleich zu viele Geheimnisse zu verraten - so vorzustellen, dass man weiß, worum es geht. Folglich ist in einigen Fällen ein zweiter oder dritter Band notwendig, damit man langsam die Zusammenhänge zu erahnen beginnt.
Für viele Leser ist das unbefriedigend, denn die einzelnen Alben erscheinen in recht großen Abständen, und mit Preisen jenseits von 10,00 EUR sind sie auch nicht gerade billig. Dem haben die Verlage nun die All-in-one-Lösung entgegengesetzt. Nachdem bereits bei Ehapa „Pietrolino“, „Tanatos“, „Das Einhorn“ und andere Titel als Komplett-Alben publiziert wurden, offeriert auch Splitter zum Beispiel mit „Fee“ und „Paradise“ abgeschlossene Graphic Novels, die nicht ganz das Alben-Format erreichen und sich im Fall von „Paradise“ als Hardcover am Comic-Format orientieren.
Die Sammelbände haben den Vorteil, dass man ein (manchmal) abgeschlossenes Abenteuer offeriert bekommt und das Lesevergnügen nicht durch Cliffhanger, lange Wartezeiten oder zunächst unverständliche Inhalte getrübt wird. Tatsächlich hat „Paradise“ als Sammelband sehr viel mehr Aussagekraft, er beeindruckt den Leser weit mehr, als es die einzelnen Kapitel könnten.
Der Preisvorteil ist ein anderer Punkt. Man greift eher zu einem relativ teuren Komplett-Band als zu einzelnen Alben, bei denen man sich nicht sicher ist, ob man alle Teile sammeln will, zumal der Endpreis grundsätzlich höher liegt.
Das Künstler-Team entführt in ein fremdes und doch vertrautes Land, ins afrikanische Maur(et)anien. Wie in so vielen (Bananen-) Republiken bestimmt auch hier ein Herrscher absolutistisch mit Hilfe des Militärs/einer Geheimpolizei über das Wohl und Wehe seiner Untertanen. Während es ihm und seinen unmittelbaren Gefolgsleuten gutgeht, leidet das Volk unter Armut, viele vegetieren in den Diamanten-Minen vor sich hin und fürchten die Macht der Spitzel. Die Gegenspieler sind Revolutionäre, die teils im Ausland und beim Militär ihre Ausbildung erhielten, oft aber nur einfache Bauern sind, die ihre momentane Überlegenheit missbrauchen. Man fühlt sich an die französische Revolution, die ‚ihre Kinder fraß’, oder an den Spruch, ‚den Teufel mit dem Beelzebub austreiben’ erinnert – denn genau das passiert hier. Die Autoren ergreifen auch nicht Partei für den sterbenden König oder die Rebellen, denn beide Parteien haben Nach- und Vorteile für die Bevölkerung.
Mit den Augen von ‚Ann Smith’ bzw. Malkia Rodon lernt man Mauranien und seine Probleme kennen. Die Hauptfigur erscheint zunächst als Europäerin, macht aber einen Entwicklungsprozess durch, der ihr Afrika nahe bringt und schließlich ihr Handeln bestimmt. Nebenbei findet sie ihre wahre Identität wieder, was jedoch eher zweitrangig behandelt wird. Malkia begreift, dass nichts so ist, wie es zunächst scheint, dass alles seine zwei Seiten hat, dass sogar sie selber gleichzeitig Revolutionärin und Symbol für ein verhasstes Regime sein kann.
Das Buch überrascht mit einem Finale, das man teils erwartet hat, teils so nicht kommen sah. Es ist jedoch die logische Konsequenz aus allem, was man zusammen mit der Protagonistin erlebt hat, und vermag zu überzeugen. Dabei werden nicht alle Fragen erschöpfend beantwortet; das eine oder andere Detail bleibt den Spekulationen der Leser überlassen.
Die Illustrationen sind äußerst reizvoll. Als Vorlagen dienten reale Schauplätze, Tiere, Pflanzen und Personen – es sind auch Anspielungen enthalten -, doch wurde alles so weit verfremdet und durch phantasievolle Attribute oder winzige Änderungen modifiziert, dass eine verblüffende Mischung aus Vertrautem und Neuem entstand. Man fühlt sich an die Wüstenstädte erinnert, die man in TV-Dokumentationen zu sehen bekommt, an kurz-rüsselige Elefanten, an Beduinen-Stämme und so weiter. Gern betrachtet man die Zeichnungen, die stimmungsvoll koloriert wurden, und entdeckt durch sie das phantastische Mauranien.
Der Geschichte vorangestellt wurde ein illustriertes Vorwort, das einige interessante Anmerkungen zu den Künstlern und ihrem Comic beziehungsweise dem gleichnamigen PC-Game enthält.
Alles in allem bietet „Paradise“ ein spannendes, zeichnerisch gelungen umgesetztes Abenteuer mit realistischen Bezügen, das vor allem reifere Comic-Leser ansprechen wird. Sammelbände wie diese sollte es öfters geben.