Antonia Michaelis
Drachen der Finsternis
Coverillustration von Daniel Nikoi Djanie
Loewe Verlag, 2008, Hardcover, 448 Seiten, 14,90 EUR, ISBN 978-3-7855-5989-5
Von Alexandra Balzer
Christopher ist ein kleiner, schmächtiger 14-jähriger Junge, unsportlich, scheu und in keiner Weise von irgendeinem Talent gesegnet. Damit ist er das getreue Gegenteil seines großen Bruders:
Arne sieht umwerfend aus, ist klug und vielseitig begabt. Als Arne beschließt, für ein Jahr nach Nepal zu gehen, auf den Spuren seiner nepalesischen Großmutter, und dabei in einem Waisenhaus arbeiten will, überrascht dies niemand. Arne ist nun einmal ein großartiger Mensch! Doch dann verschwindet er plötzlich, irgendwo in den von Maoisten besetzten Bergregionen Nepals, aufgrund des einen Fehlers, den er besitzt: Er ist leichtsinnig.
Christophers Eltern erstarren in Trauer und Angst. Er selbst besorgt sich einen Bildband über Nepal, um sich vorstellen zu können, wo Arne nun ist, und wünscht sich mit aller Macht, in diese wunderschöne Landschaft eintauchen und seinen Bruder retten zu können. Und plötzlich ist er da!
Aber es ist nicht das Nepal, welches er aus dem Fernsehen und Büchern kennt, sondern ein rätselhafter Ort, an dem seltsame und unheimliche Dinge geschehen. Schon zu Beginn trifft er auf Jamar, den 14-jährigen Thronfolger des Landes. Niemand weiß von Jamar, denn er ist unsichtbar geboren. Aus Schock über dieses traurige Wunder fiel seine Mutter sofort nach der Geburt ins Koma, in dem sie noch heute dahindämmert, und der König, sein Vater, kümmert sich nicht mehr um das Land. Tatenlos sieht er zu, wie das Volk hungert, er überlässt alle Entscheidungen dem Militär; selber sorgt er sich nur um den Blumengarten, den seine Frau so sehr liebte.
Als Jamars Diener Tapa ermordet wird, beschließt der junge Prinz zu fliehen – und stößt dabei auf Christopher. Gemeinsam gehen die Jungen auf eine unglaubliche Reise. Ihnen begegnen Drachen, die Farben fressen, winzigen Bronzestatuen, die einst Menschen waren, Gefahren und Abenteuern jeder Art…
Es ist kein leicht zu lesendes Buch. Viele wichtige Themen sind hier eingearbeitet: Angst, Wut, Verlust, Trauer, Tod, Mut, umwälzende Veränderungen, Freundschaft, Armut, Krieg und vieles mehr.
Mit leisen Tönen und beeindruckender Erzählgewalt webt die Autorin Realität und Fiktion zu einem höchst spannenden Ganzen zusammen. Man spürt, sie kennt dieses Land und seine Menschen und beklagt die Unterwerfung dieses Volkes, ohne anzuklagen. Ihre lebensnahen Charaktere, spannende Wendungen und schöne Sprache lassen den Leser niemals Langeweile verspüren, und sie führt ihn bis zum Ende, das auf sanfte Weise nachdenklich stimmt.
„Drachen der Finsternis“ ist ein starkes Buch, empfehlenswert ab etwa 12 Jahren, geeignet für Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen!