McCammon, Robert R.: UNSCHULD UND UNHEIL (Buch)

Robert R. McCammon:
Unschuld und Unheil

Originaltitel: Boy´s Life (1991).
Deutsche Übersetzung aus dem Amerikanischen von Ute Thiemann.
Erftstadt: Area Verlag 2004.
795 Seiten. 9,95 Euro.

ISBN 3-89996-070-X


von Gunther Barnewald


Der Area Verlag hat es sich zur Aufgabe gemacht Neuauflagen von Horrorwerken zu veröffentlichen. Kennzeichen sind, trotz des kleinen Formats der Bücher, ihr Hardcovereinband und der große Umfang der Ausgaben von konstant 800 Seiten.
Deshalb erscheinen hier entweder voluminösere Werke (wie z. B. Maturins Melmoth, der Wanderer oder das vorliegende Buch) oder Mehrfachbände, so z. B. zwei dereinst bei Knaur veröffentlichte Horrorromane von Ramsey Campbell (Hungriger Mond und Das Kettenbriefmassaker/Der Fluch der dreizehn Briefe) oder ein Sammelband mit Romanen zu legendären Filmen (Die Nacht des Jägers, Kap der Angst und Was geschah wirklich mit Baby Jane?).
Bei Robert R. McCammons Roman Boy´s Life handelt es sich um die Neuauflage eines im Knaur Verlag 1992 erschienen Buches, welches außerhalb der Horrorreihe erschien und deshalb vielleicht vielen Lesern entgangen sein dürfte.
Um es vorweg zu nehmen: Boy´s Life ist McCammons mit Abstand bester Roman, ein wahres Meisterwerk, vergleichbar in Qualität und Ausführung nur mit seinen genialen Kurzgeschichten aus der bei Knaur erschienenen Kollektion Stadt des Untergangs (Knaur TB 1837).
Der Autor erzählt hier von den magischen und erschreckenden Erlebnissen des 12jähtigen Cory Mackenson, der in einer kleinen Südstaatenstadt in den USA namens Zephyr lebt.
Man schreibt das Jahr 1964 und Cory und seine Freunde begegnen nicht nur den üblichen Unbilden wie Schulschlägern, strengen Lehrern und dem im Süden der USA üblichen Rassismus dieser Zeit, sondern auch rächenden Geistern, gigantischen Ungeheuern und anderen magischen Geschehnissen.
Inhaltlich und atmosphärisch erinnert das vorliegende Buch zwar an eine Mischung aus Stephen Kings besseren Werken (vor allem an “The Body”, verfilmt als Stand by me, dt. Stand by me - Das Geheimnis eines Sommers; aber auch an “Sometimes they come back”, dt. als “Manchmal kommen sie wieder” in Nachtschicht, verfilmt unter gleichnamigem Titel; oder an It, dt. Es, ebenfalls verfilmt), Ray Bradburys in “Green Town, Illinois” spielende Erzählungen und Garry Kilworths genialen Roman Witchwater Country (dt. Hexenwasser als Heyne TB 06/4822).
McCammon gelingt jedoch hier eine ganz eigene, äußerst faszinierende Mischung, die sich problemlos mit der literarischen Qualität der oben genannten Erzählungen messen kann bzw. manche davon mühelos übertrifft.
Der Autor erzählt beispielsweise die tragische Geschichte vom schweren Unfall des geliebten Hundes Rebell, der Corys treuer Wegbegleiter war. Das Tier ist so schwer verletzt, dass der Tierarzt es einschläfern möchte. Doch Cory will Rebell nicht gehen lassen, weshalb er um dessen Leben mit solchem Schmerz und solcher Inbrunst betet, dass der Hund zwar am Leben bleibt, jedoch zu einer Art leblosem Zombie mutiert. Erst als der Geist eines toten Jungen den armen Hund nachts besucht und ihn mit sich nehmen will, begreift der Junge, dass er den eigenen Egoismus ablegen und seinen geliebten Gefährten endlich ziehen lassen muss.
Dies ist dermaßen anrührend geschildert, dass es völlig egal ist, ob der Autor sich bei anderen literarischen Vorbildern (in diesem Fall W. W. Jacobs legendäre Kurzgeschichte “The Monkey´s Paw”; dt. “Die Affenpfote”, und Stephen Kings Roman Pet Sematary; dt. als Friedhof der Kuscheltiere) bedient hat. Denn die Kraft und der Ausdruck der geschilderten Sequenz sprechen für sich.
Dies gilt auch für viele andere Sequenzen des Buchs, wobei auffällt, dass viele Kapitel auch für sich alleine stehen könnten und hervorragende Kurzgeschichten abgäben.
Ein Spannungsbogen entsteht dagegen vor allem dank der ersten erzählten Episode, in der Cory und sein als Milchmann arbeitender Vater fast bei der morgendlichen Auslieferungstour einen schweren Unfall haben. Ein Auto rast an ihnen vorbei, um anschließend in einen tiefen See zu stürzen.
Als Corys Vater in den See springt, um den Fahrer zu retten, muss der Retter entsetzt feststellen, dass ein übel zugerichteter nackter Mann an das Steuer des Wagens gekettet ist und jede Hilfe zu spät kommt.
Da man das Wrack wegen der Tiefe des Sees nicht bergen kann, bleibt der ganze Vorfall mysteriös. Da Cory und sein Dad jedoch unbeabsichtigt Zeugen des Mordes geworden sind und der Junge zudem am Tatort eine seltsame grüne Feder findet, befinden sich beide bald auch selbst in Gefahr, denn der 12jährige kommt mit seinen Nachforschungen dem Täter immer näher...
Dieser Spannungsbogen umschließt die vielen einzelnen Episoden der Geschichte, die für sich genommen jedoch ebenfalls fesselnd und Phantasie anregend sind.
Egal ob Cory bei einer Flut einem farbigen kleinen Jungen das Leben retten muss, indem er gegen ein altes, gewaltiges Krokodil kämpft, oder ob er vor einem der Schulschläger auf seinem im wahrsten Sinn des Wortes lebendigen uns mitdenkenden Fahrrad flieht, welches seinen eigenen Willen hat, die Abenteuer des Jungen haben genau die richtige Ausstrahlung zwischen Magie und Realismus, um einerseits überzeugend, andererseits jedoch magisch zu erscheinen.
Gleiches gilt für die Geschichte des ermordeten jungen Autofahrers, der samt seines Wagens aus dem Grab zurückkehrt, um seine Freundin zu retten und den eigenen Tod zu rächen und damit seinen Mörder in die geistige Umnachtung zu treiben.
Und hätte Corys Freund Davy Ray nicht den alten Dinosaurier aus dem Käfig der Schausteller eines Zirkus befreit, dann wäre Corys letztes Treffen mit dem Mörder sicherlich völlig anders verlaufen...
Boy´s Life ist eine jener literarischen Wundertüten, die man mit großem Genuß öffnet, um sich verzaubern zu lassen, und von der man hofft, dass ihre Wunder und die hier schlummernden märchenhaften Geschichten, trotz der erklecklichen Länge von 800 Seiten, nie enden mögen.

hinzugefügt: September 12th 2004
Tester: Gunther Barnewald
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Sprache: albanian