Sarwat Chadda
Teufelskuss
Billi SanGreal 1
(The Devil’s Kiss, 2009)
Aus dem Englischen von Maike Claußnitzer
Titelgestaltung von HildenDesign, München unter Verwendung eines Motivs von iStockphoto
Penhaligon, 2010, Paperback mit Klappenbroschur, 320 Seiten, 14,95 EUR, ISBN 978-3-76453031-0
Von Irene Salzmann
Billi SanGreal ist fünf Jahre alt, als ihre Mutter ermordet wird. Mit zehn Jahren entdeckt sie das Geheimnis ihres Vaters und seiner Kameraden. Als sie fünfzehn Jahre alt ist, besteht sie ihre Feuertaufe und hat den Rang eines Knappen bei den Tempelrittern inne. Diese kämpfen unter der Leitung ihres Vaters Arthur gegen die finsteren Mächte – so wie es unzählige Mitglieder des Ordens seit Jahrhunderten im Geheimen taten.
Etwas Unheimliches braut sich über London zusammen. Immer mehr Kinder erkranken und sterben, ohne dass die Ärzte ihnen helfen können. Während die Templer Nachforschungen anstellen, lernt Billi den attraktiven Mike Omen kennen, der ihr ein Leben ohne Entbehrungen und Kämpfe anbietet. Tatsächlich wäre das junge Mädchen gern ein normaler Teenager, und die lieblose Behandlung durch den Vater treibt sie immer mehr in die Arme des verständnisvollen jungen Mannes.
Schon bald lässt Mike die Maske fallen, und die Situation eskaliert: Die gefallenen Engel unter der Führung des Erzengels Michael wollen Gott ein Opfer bringen, damit er sie wieder im Himmel aufnimmt. Wie schon einmal sollen die Erstgeborenen sterben. Ausgerechnet Satan bietet Billi seine Unterstützung an, aber er verlangt einen hohen Preis. Sie soll ihren Vater töten – genauso wie es ihr Jugendfreund Kai, ein Seher, prophezeit hat.
Wird sich Billi auf den Handel einlassen? Ist es richtig, ein Leben zu opfern und dafür Tausende zu retten?
Im Moment bietet das Horror-Genre praktisch zwei Extreme, die Romantic Mystery, in der eine Romanze vor der eigentlichen phantastischen Handlung rangiert, und den Splatter, der düsterste Gräuel beschreibt. Dazwischen findet sich nur wenig, wie zum Beispiel Sarwat Chaddas „Teufelskuss“.
Der Roman entführt den Leser in eine vertraute Welt, in das London der Gegenwart, in dem jedoch auch das Böse in den Schatten seinen Platz hat. Eine kleine Schar Eingeweihter bemüht sich, Satan, die gefallenen Engel und ihre Kreaturen, die Ghoule, in Schach zu halten. Es gibt komplizierte Regeln, an die sich beide Seiten halten müssen, dennoch scheinen die Templer und ihre Gesinnungsgenossen gegen diese überlegenen Feinde keine Chance zu haben.
Nicht nur sind sie weniger als ein Dutzend, auch ihre Waffen sind konventionell, und die Magie, die den Templern zur Verfügung steht, ist der eines Erzengels unterlegen – natürlich, denn schon Salomo konnte nur die niederen Engel bannen und Michael lediglich schwächen. Durch Fehler und interne Rivalitäten spielen Arthur und seine Kameraden dem Gegner sogar noch in die Hände, und wenn sie ihm ein Schnippchen schlagen konnten und Hoffnung schöpfen, trifft sie das Unvermeidliche umso härter.
Vor diesem Hintergrund versucht Billi, die Hauptfigur, für sich ein bisschen Glück zu erhaschen. Sie ist davon überzeugt, dass der Vater sie nicht liebt, gegenüber ihrem Freund Kay fühlt sie sich zunehmend zurückgesetzt, es kränkt sie, dass man immer nur mehr und mehr von ihr verlangt, dabei jedoch vieles, das wichtig ist, verschweigt. Auf diesem Nährboden scheint Mikes Saat aufzugehen: Man ahnt früh, wer er wirklich ist.
Billi muss schwere Entscheidungen treffen. Zunächst scheint sie alles falsch zu machen, und das kostet sie Einiges. Aber es kommt noch viel schlimmer: Sie ist eine Erstgeborene und wird von Michael infiziert. Des Weiteren erfährt sie die Wahrheit über den Tod ihrer Mutter und die Motive des Vaters - dass nicht alles so ist, wie sie angenommen hatte. Und schließlich soll sie den Menschen opfern, den sie am meisten liebt.
Die anderen Protagonisten fungieren vor allem als Katalysatoren für die packende Handlung. Unschwer erkennt man, dass die Namen der Templer von den Rittern der Tafelrunde entlehnt wurden, darunter Arthur, Gwain, Percy, Bors. Ihr Eingreifen sorgt regelmäßig für unerwartete Wendungen und treibt die Geschehnisse in die vom Autor gewünschte Richtung, dem Showdown entgegen.
Sarwat Chadda spielt nur am Rande mit dem Artus-Mythos und beschäftigt sich in erster Linie mit der Mystik des Judentums, des Christentums und des Islams, lässt sie in seine Version eines zeitgenössischen Templerordens, der sich an die überlieferten Regeln hält, einfließen. Billi nimmt in der Hierarchie eine Sonderstellung ein, denn sie ist eine Frau und hätte als solche niemals Einlass in den Geheimbund gefunden, doch die Gruppe darf nicht wählerisch sein, und außerdem rankt sich eine bedeutungsvolle Prophezeiung um die Fünfzehnjährige.
Trotzdem wird sie als ganz normaler Teenager geschildert mit all den Wünschen und Hoffnungen, die Mädchen in diesem Alter haben. Selbst als sie auszusteigen versucht, bleibt sie der Gruppe verbunden und fügt sich schließlich ihrem Schicksal. Sie übernimmt Verantwortung, denn die vielen Opfer dürfen nicht umsonst gestorben sein, den Menschen soll das Leid, das die Engel, die selbstsüchtig und böse gezeichnet sind, über sie bringen wollen, erspart werden.
„Teufelskuss“ ist ein spannender, hoch dramatischer Horror-Roman, der Genre-Fans beiderlei Geschlechts bestens unterhält. Die Charaktere sind interessant, das Ende überzeugt – und man darf gespannt sein, was sich der Autor für den nächsten Band einfallen lässt.