Marvel Exklusiv 57
Daredevil – Der König von Hell’s Kitchen
Text: Brian Michael Bendis
Zeichnungen: Alex Maleev
Übersetzung: Robert Syska
(Daredevil Vol. 2: 56 – 60, Marvel, USA, 2004)
Panini, Marvel Deutschland, 110 Seiten, 13,50 EUR (Softcover) bzw. 18.50 EUR (Hardcover)
Von Irene Salzmann
Ein Jahr ist vergangen, seit Daredevil alias Matt Murdock den Kingpin von seinem Thron als Verbrecherboss stieß und sich zu seinem Nachfolger ernannte. In dieser Zeit verwandelte sich Hell’s Kitchen von einem Ort der Gewalt in eine Gegend, in der man sich wieder relativ gefahrlos auf die Straße wagen kann. Allerdings sind damit keineswegs alle Probleme gelöst worden, denn es entstand ein Machtvakuum, das Gangster aus anderen Teilen des Landes auszufüllen hoffen.
Matt Murdock und seine Frau Milla werden sogleich zur Zielscheibe der Yakuza. Matt taucht nach einem Kampf gegen die Bande unter, und Milla wendet sich an den Reporter Ben Urich, da sie hofft, dass er etwas über den Verbleib ihres Mannes weiß. Ben folgt den vagen Spuren und spürt Matt schließlich auf: physisch und mehr noch psychisch verletzt.
Langsam begreift Matt, dass er, auch wenn er nur Gutes bewirken wollte, zu weit gegangen ist. Ohne Rücksicht auf Freund und Feind hat er das Gesetz in seine eigenen Hände genommen – nun muss er dafür bezahlen, vielleicht sogar mit seinem privaten Glück.
Früher war ein Superheld stets ein durch und durch guter Charakter, der sich nie eine Verfehlung zu Schulden kommen ließ. Im Laufe der Zeit wandelte er sich, und an die Stelle des perfekten Idols traten realistischere Protagonisten, die auch negative Eigenschaften haben durften und nicht mehr jedes Problem zu lösen vermochten. In den 80ern gab es einen Trend zum dunklen Helden, der oft nach dem Motto ‚der Zweck heiligt die Mittel’ vorging, sich derselben drastischen Maßnahmen seiner Gegner bediente und am Ende die Konsequenzen seines Handelns tragen musste. Diese Helden sind nicht die strahlenden Saubermänner, sondern finstere, nicht sonderlich attraktive Typen, sie verbergen sich in der Gosse und töten, um selber am Leben zu bleiben. Ihre Serien sind stets in dunklen Farben gehalten und kraftvoll gezeichnet: „Punisher“, „Wolverine“, „Maverick“, „Ghost Rider“, „SHIELD“, „Deadpool“ – um nur einige der Marvel-Titel zu nennen.
Ebenfalls zu diesen harten Serien, die ein älteres Publikum ansprechen, das kein sonderliches Interesse an Soap Operas voller Teenie-Love hat, zählt „Daredevil“. Der blinde Anwalt Matt Murdock, der sein Alter Ego der Öffentlichkeit preis gab, ist in den langen Jahren, die seine Serie in den USA bereits läuft, schon ganz oben gewesen, aber noch häufiger tief gefallen. Immer wieder verliert er geliebte Menschen durch Gewalt, so dass irgendwann auch für ihn der Punkt gekommen ist, an dem er zerbricht und sich die Methoden seiner Feinde zu Eigen macht, um jene zu schützen, die ihm noch geblieben sind.
Seine Freunde beobachten diese Entwicklung mit zwiespältigen Gefühlen: Einerseits haben sie Verständnis, da sie Trauer und Wut selbst kennen lernten - andererseits, trotz Matts Erfolg, ist das wirklich der richtige Weg? Es bleibt kein einmaliger Ausbruch, Matt steht immer wieder im Zentrum von brutalen Auseinandersetzungen, die Leben kosten. Spider-Man, Iron Fist und andere wollen ihm helfen, aber erst muss sich Matt selbst helfen und erkennen, wie es um ihn und seine geistige Gesundheit steht.
„Marvel Exklusiv 57“ präsentiert mit der fünfteiligen Storyline „Der König von Hell’s Kitchen“ eine Geschichte über Liebe und Gewalt, Irrtum und Selbstfindung - ein typisches, kompliziertes, düsteres „Daredevil“-Abenteuer, das sicher nicht nur die Sammler, sondern auch die sporadischen Comic-Leser überzeugen dürfte.