100% Marvel 16
Spider-Man/Doktor Octopus – Das erste Jahr
(Spider-Man/Doctor Octopus/Year One 1 – 5)
Text: Zeb Wells
Zeichnungen: Kaare Andrews
Aus dem Amerikanischen von Michael Strittmatter
Panini/Marvel Deutschland, Paperback, 120 Seiten, 13,50 EUR
Von Irene Salzmann
Schon als kleiner Junge wurde Otto Octavius von seinen Mitschülern gemobbt. Anerkennung findet er erst als Student, nachdem ein Professor Ottos Genie erkennt und fördert. Schon bald arbeitet er Seite an Seite mit berühmten Wissenschaftlern und geht ganz in seinen Forschungen auf. Allerdings zeigt sich auch sein labiles Wesen. Die Kränkungen, die ihm zugefügt wurden, und die Manipulationen durch seine besitzergreifende Mutter lassen nicht zu, dass er sich jemandem öffnet, der seine Freundschaft sucht. Schließlich bringt ihn die private Tragödie zu Fall und macht aus dem brillanten Mann den Verbrecher mit den künstlichen Armen: Doktor Octopus. Spider-Man greift ein, um ihn zu stoppen…
Waren früher die Superverbrecher einfach nur böse und ihr Werdegang uninteressant, so versucht man seit einer geraumen Weile, ihnen einen ebenso nachvollziehbaren Background zu verleihen wie den Helden. Die Definitionen von ‚gut’ und ‚böse’ sind schon lange nicht mehr auf die jeweiligen Charaktere anzuwenden, stattdessen bewegen sie sich ausnahmslos in einer Grauzone. Jeder verfügt über positive und negative Eigenschaften und erlebte Traumatisches, das darüber entschied, auf welche Seite er sich schließlich stellte – wobei gelegentliche Wechsel erlaubt sind.
Das Leben von Otto Octavius verläuft ähnlich wie das von seinem Feind Peter Parker. Beide werden von ihren Mitschülern schikaniert und erst später an der Universität bzw. im Beruf von ihrem Umfeld mehr oder weniger anerkannt. Beiden öffnen sich ungeahnte Möglichkeiten, die Otto selbst zerstört durch seine Labilität, während Peters Aufstieg immer wieder durch ein persönliches Unglück gebremst wird. Der größte Unterschied ist, dass Peter immer wieder Rückhalt findet bei seiner Tante, dem zu früh verstorbenen Onkel und einigen guten Freunden. Dies alles fehlte Otto, und als er endlich jemandem begegnet, der ihn als Menschen schätzt, ist er bereits so sehr von Misstrauen und Hass zerfressen, dass er die Freundschaft zurückweist.
Der Leser sympathisiert mit beiden, denn er kann sich leicht in ihre Nöte hineinversetzen. Mobbing ist ein aktuelles Problem, und immer gibt es Neider, die nur darauf warten, dass jemand zu Fall kommt, dessen Position dann frei wird. Natürlich darf der Schurke nicht zu positiv geschildert werden, und es muss etwas Dramatisches geschehen, das seinen tiefen Sturz einleitet. Dadurch verliert er die anfänglichen Sympathien - es ist gerecht, wenn er seine Strafe erhält.
Die Geschehnisse, erzählt aus der Perspektive des gequälten, unverstandenen Doktor Octopus, werden in eindringlichen Bildern wiedergegeben. Die starken Hell-Dunkel- und Farb-Kontraste reflektieren die instabile Denkweise des Protagonisten perfekt.
Dieser Band, der fünf Hefte umfasst, ist für sporadische Leser und Sammler eine interessante, anspruchsvolle Lektüre.