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Somtow, S. P.: Dunkle Engel (Buch)

Horror TB 6
S. P. Somtow
Dunkle Engel
(Darker Angels)
Übersetzung: Christel Rosskopf
Festa Verlag, Taschenbuch, 416 Seiten, 9,90 EUR, ISBN 3-935822-09-X

Von Frank Drehmel

S. P. Somtow ist das Pseudonym des 1952 in Bangkok geborenen Multitalents Somtow Papinian Sucharitkul. Als Spross einer thailändischen Aristokratenfamilie begann er seine künstlerische Karriere als Komponist avantgardistischer Musik und versuchte sich dann ab den späten 70ern - mit großen Erfolg, wenn man der Anzahl der Award-Nominierungen Glauben schenkt - als Roman- und Kurzgeschichtenautor in den unterschiedlichsten Genres; kurze Abstecher in den Bereich des Films - als Regisseur, Autor, Produzent oder Komponist - runden das Bild eines sendungsbewussten, kreativen Menschen ab. Im Jahr 2001 besann sich Somtow seiner Wurzeln, der Musik, und zeichnet seit dem für eine Vielzahl klassischer musikalischer Projekte in seiner Heimatstadt Bangkok verantwortlich.

Der im Original 1997 erschienene Roman “Darker Angels” macht es dem Rezensenten nicht leicht. Wegen des komplizierten Aufbaus - nicht ohne Grund lässt der Autor seine Hauptprotagonistin an einer Stelle sagen: “Geschichten in Geschichten in Geschichten. Und jedes Mal war eine weitere nötig, um die vorangegangene zu erklären.” - ist eine Inhaltsangabe, die über den Hauptplot hinausgeht, kaum möglich. Doch dieses Wenige soll geleistet werden.

Man schreibt das Jahr 1865. Die Witwe Paula Grainger trifft vor dem in New York aufgebahrten Leichnam Abraham Lincolns den berühmt-berüchtigten Dichter Walt Whitman. Augenblicklich zieht der alte Mann sie in seinen Bann indem er behauptet, Dinge zu wissen, die ihr aufgeklärtes Weltbild auf den Kopf stellen.
Wenige Tage später kommen Whitman und sein jugendlicher Geliebter, Zachary Brown, einer Einladung Mrs. Graingers nach. Und es ist Zachary, der zu erzählen beginnt: eine Geschichte, in der ihr verstorbener Mann, Reverent Grainger, ihre schwarzhäutige Dienerin, Phoebe, und er selbst eine Rolle spielen, eine Geschichte, in der immer neue Protagonisten, u.a. Edgar Alan Poe und Lord Byron, die Bühne betreten; eine Geschichte, die Schritt für Schritt weiter in die Vergangenheit, auf Schlachtfelder und Sklavenfarmen und tief in die afrikanische Mythologie führt.
Schließlich erkennt Mrs. Grainger, dass die Leben all der Menschen aus den Geschichten in den Geschichten zu einem bestimmten Zweck verknüpft sind und dass auch in ihr selbst der Geist der Leopardin namens Eleuthera, was nichts anderes heißt als “Freiheit”, wohnt.


Vor dem Hintergrund des amerikanischen Abolitionismus entwirft Somtow auf hohem sprachlichen Niveau in eindringlichen Bildern eine Geschichte düsterer Schönheit und Faszination, lässt afrikanische Mythen und haitianischen Voodoo-Kult in einer nicht zuletzt wegen der Einbindung historischer Persönlichkeiten sehr real erscheinenden Vergangenheit lebendig werden.

Der Aufbau des Romans ist - wie angedeutet - sehr kunstvoll gestaltet: ausgehend von der Gegenwart Paula Graingers, dem Jahr 1865, entwickelt sich die Handlung in Teilen quasi rückwärts, verästelt sich in der Vergangenheit und jeder “Ast” wird von einem anderen Protagonisten bestimmt. Der Leser muss sich mit mehreren Ich-Erzählern auseinander setzen, von denen jeder einen Teil zu einem komplexen Muster, dessen Grundgerüst - die Gegenwart - immer wieder durchscheint , beiträgt.
Dadurch, dass der Autor einerseits die Protagonisten ihre Biografien selbst erzählen lässt, andererseits aber auch andere ein Urteil über sie fällen, sind die Figuren allesamt äußerst differenziert gezeichnet und sprengen simple Schwarz-Weiß-Schemata. Somtows Charaktere sind nicht per se gut oder böse, sind keine statischen Figuren, sondern entwickeln sich und zeigen zu unterschiedlichen Zeitpunkten ihrer Biografie unterschiedliche Facetten ihres Wesens.

Unklar bleibt, welchem Genre sich Somtows Roman zuordnen lässt. Ich persönlich würde ihn eher dem magischen Realismus zuschreiben, weil in der zentralen Figur der Paula Grainger Mythos und Logos eine vollkommene Synthese eingehen. Ganz in ihrer Zeit verhaftet, im Bewusstsein der technischen Segnungen auf der einen und der moralischen Verworfenheit der “Moderne” auf der anderen Seite, ist sie in der Lage und Willens, die Magie zu akzeptieren.
Andere mögen das Buch auf Grund der zuweilen recht drastischen Bilder und der düsteren Spannung eher dem Horror-Genre zurechnen. Doch hier gilt es zu bedenken, dass es nicht die metaphysischen Aspekte - die Leichen verzehrenden Zombies, die schwarzen Götter und Engel- sind, die das Grauen im Leser wecken, sondern es sind jene Dinge, die Menschen Menschen antun: der Tod auf dem Schlachtfeldern des Sezessionskrieges oder die Unmenschlichkeit der Sklaverei. In deutlicher Abgrenzung zum ganz irdischen Horror steht das Übernatürliche bei Somtow für individuelle und kulturelle Identität, für Gerechtigkeit und Befreiung des Menschen aus einer sich selbst auferlegten Knechtschaft.
In gewisser Hinsicht ist “Darker Angels” damit auch ein politischer Roman, eine Anklage gegen Rassismus und Intoleranz. Bemerkenswerterweise unterliegt Somtow nicht der Versuchung, das Bild des “edlen Negers” zu zeichnen; auf Grund der gesellschaftlichen Situation im Amerika Mitte des 19. Jahrhunderts sind die Schwarzen bei ihm zwar in der Regel Opfer und erhalten damit von vornherein einen Sympathiebonus, doch auch sie laden Schuld auf sich, während auf der anderen Seite selbst die Weißen auf Erleuchtung und Erlösung durch die schwarzen Götter hoffen können.


Fazit: Ein hohes sprachliches Niveau, eine kunstvoll konstruierte Geschichte und eine bedrückend intensive Atmosphäre machen “Dunkle Engel” zu einem Meisterwerk der phantastischen Literatur!

hinzugefügt: September 28th 2005
Tester: Frank Drehmel
Punkte:
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