Kij Johnson
Die Fuchsfrau
(The Fox Woman, USA, 2000)
Aus dem Amerikanischen von Michael Koseler
Titelgestaltung von Nele Schütz Design unter Verwendung einer Illustration von Susan Seddon Boulet
Piper, 2005, HC mit Schutzumschlag und Lesebändchen, 480 Seiten, 19,90 EUR, ISBN 3-492-70039
Von Irene Salzmann
Japan in der Heian-Zeit: Ein junger Adliger zieht sich mit seiner Familie nach einem Misserfolg bei der Ämtervergabe am Hof zurück auf sein Landgut. Dieses beanspruchte während seiner Abwesenheit eine Fuchs-Familie als Revier. Aufgescheucht von den plötzlich allgegenwärtigen Menschen ziehen sich die Füchse in ein Versteck unter dem Anwesen zurück und beobachten teils neugierig, teils besorgt ihre neuen Nachbarn.
Die kleine Füchsin verliebt sich prompt in Kaya no Yoshifuji und ist schließlich zu jedem Opfer bereit, um den Zauber zu wirken, der sie in eine menschliche Frau verwandelt und ihr den ersehnten Mann zuführt. Sie hat leichtes Spiel, denn Yoshifuji ist deprimiert, sein eintöniges Dasein ödet ihn an, die Ehe mit der schönen Shikujo ist zwar voller Leidenschaft, doch leben beide nur nebeneinander her, getrennt in zwei Welten, die jeweils nur den Männern bzw. Frauen vorbehalten sind.
Yoshifuji ist fasziniert von den Füchsen, Shikujo hingegen fürchtet sie und sieht in ihnen ein schlechtes Omen. Schließlich verlässt Shikujo mit ihrem Sohn das gemeinsame Haus und reist zurück in die Hauptstadt. Erst die Nachricht, dass ihr Mann verschwunden ist, veranlasst sie zur Heimkehr. Niemand von der Dienerschaft weiß, dass Yoshifuji Kitsune getroffen hat und als ihr Gemahl und Vater eines gesunden Jungen in einer von ihr geschaffenen Illusion lebt…
Bisher sind nur wenige phantastische Romane publiziert worden, die sich des asiatischen Kulturkreises als Hintergrund bedienen. Seit Mangas und Animes im Westen Fuß fassen konnten, ist das Interesse der Leser am fernen Osten neu erwacht.
In „Die Fuchsfrau“ mischen sich Geschichte, Mythen und Fantasy zu einem romantischen und spannenden Roman, der in erster Linie unterhalten will, gleichzeitig aber auch bemüht ist, einen kleinen Eindruck vom Leben der Menschen im Japan der Heian-Zeit zu vermitteln. Dabei werden keineswegs langweilige historische Fakten verarbeitet; ganz nebenbei und natürlich fließt mit ein, welchen Pflichten die Adligen zu erfüllen hatten, wie sie ihre Freizeit gestalteten, welchen Konventionen sie sich beugen mussten, welche Gedanken sie gehabt haben mochten.
Die Ereignisse werden in Form von Tagebuch-Einträgen geschildert, wobei die Perspektive wechselt zwischen Kaya no Yoshifuji, seiner Frau Shikujo und der namenlosen Füchsin, die Kitsune (= Fuchs) genannt wird. Obwohl die Autorin bestrebt ist, die Einträge individuell erscheinen zu lassen, ähneln sie sich im Aufbau, bei der Wortwahl (in Japan verwenden Männer und Frauen mitunter verschiedene Worte und Formen für dieselben Dinge) und gehen zu flüssig ineinander über.
Yoshifuji zerbricht an seinem unausgefüllten Leben. Es erscheint ihm zunehmend irreal, so dass er den Zauber, den die Füchse über ihn werfen, willkommen heißt. Er flieht aus seiner tristen Welt in eine Illusion, fort von seiner perfekten Gemahlin, die er ebenso wenig kennt wie seinen Sohn, zu einer neuen Frau, die unkonventionell ist und ihm die begehrte Alternative bietet. Allerdings ist es eine Scheinwelt - dem unbefriedigenden Alltag, dem nahenden Alter und dem sicheren Tod kann er letztlich nicht entrinnen; tatsächlich kommt er den Dingen, die ihn ängstigen, sogar viel näher.
Shikujo ist bemüht, die perfekte Ehefrau zu sein, und genau das ist ihr Fehler. Allerdings lebt sie mit ihrem Mann in einer Gesellschaft, die von starren Konventionen geprägt ist und hat in ihrem langweiligen Dasein nichts anderes, das ihr Halt gibt. Ihre Sensibilität den Füchsen gegenüber veranlasst sie, ihren Gemahl zu verlassen, doch will sie ihn nicht aufgeben und entscheidet sich dafür, gegen die Magie ihrer Rivalin zu kämpfen. Sie gewinnt nicht wirklich das, was sie wollte, aber etwas, das für sie selber wichtig ist: mehr Freiheit.
Die Füchsin, Kitsune, ist die eigentliche Hauptfigur. Zunächst wird sie als vermenschlichtes Tier geschildert, das sich aus Liebe immer mehr in eine Frau verwandelt. Sie ist naiv und handelt instinktiv, vieles begreift sie nicht, doch sie scheut kein Risiko, um ihr Ziel zu erreichen. Je mehr sie gewinnt, umso mehr verliert sie in Wirklichkeit und wird doch nie ein richtiger Mensch sein. Für ihre eigene Familie und die von Yoshifuji hat dies tragische Konsequenzen.
Die zauberkundigen Füchse treten in vielen japanischen Märchen auf. Meist necken sie die Menschen oder fügen ihnen Schaden zu, hin und wieder helfen sie auch. Oft verliebt sich ein junger Mann in ein hübsches Mädchen, das sich als Füchsin entpuppt, die ihm die Lebenskraft raubt – absichtlich oder auch nur, weil es der Natur der Füchse entspricht. Selbst wenn sie nichts Böses planen, sie bringen den Menschen Unglück. Dieses Motiv zieht sich auch durch den Roman, denn es gibt kein Happy End für Yoshifuji und seine Füchsin, und nachdem er in die Realität zurückkehrte, ist er gezeichnet.
Die Handlung pendelt zwischen den Welten der Menschen und der Füchse, zwischen Realität und Illusion, bis sich die Grenzen verwischen, die Protagonisten von der einen auf die andere Seite wechseln. Garniert wird alles mit erotischen Szenen, die jedoch nicht zu sehr ins Detail gehen: U.a. liebt Yoshifuji seine Frau, verschiedene Mätressen, Kitsune und deren Bruder. Die Beziehungen zwischen Männern haben in Japan Tradition, und die Literatur bietet Lesern entsprechende Bücher und Mangas, Leserinnen sogar ein eigenes Genre, Boys Love.
„Die Fuchsfrau“ ist romantische Fantasy, die in erster Linie den Geschmack des weiblichen Publikums trifft, sich darüber hinaus aber an alle wendet, die historisch-phantastische Romane mit einem exotischen Ambiente schätzen, sowie an die Manga-Leser, die sich die Freude an spannenden Büchern bewahrt haben.