Matrix Reloaded
USA 2003, Regie und Buch: Andy und Larry Wachowski, Kamera (Technicolor, Panavision Widescreen 2,35:1) Bill Pope, Schnitt: Zach Staenberg, Musik: Don Davis.
Mit Keanu Reeves, Carrie-Ann Moss, Laurence Fishburne, Monica Bellucci, Jada Pinkett-Smith u.a.;
Laufzeit: 138 Minuten (inklusive Vorschau nach dem Abspann auf „Matrix Revolutions”), FSK: ab 16 Jahren ohne Schnittauflage, Verleih: Warner Bros.
Von Oliver Naujoks
Mit einer mystischen Geschichte, einer revolutionären Optik und einer Überdosis sonnenbebrillter, dem Hong Kong Kino entlehnter Coolness war „Matrix“ 1999 einer der Überraschungshits im Kino. Aber erst auf dem Heimvideomarkt startete dieser von Mangas und dem Kino John Woos stark beeinflusste Film so richtig durch, entwickelte sich zum ersten großen Blockbuster des damals noch neuen Mediums DVD und gilt heute als einer der erfolgreichsten Heimvideo-Titel aller Zeiten.
Aber nicht nur das, in nur vier Jahren konnte der Film eine unglaubliche Reputation aufbauen, Vokabeln wie „Kultfilm“ oder „Klassiker“ werden heute wie selbstverständlich im Zusammenhang mit „Matrix“ genannt und es gibt nicht wenige, die diesen Film inzwischen bei den Eckpunkten des SF-Kinos, „Metropolis“, „2001: Odyssee im Weltraum“ und „Blade Runner“, einordnen.
Mit der höchst undankbaren Aufgabe versehen, die gigantische Erwartungshaltung der Fans zu erfüllen, machten sich die Wachowski-Brüder daran, eine Fortsetzung zu realisieren. Die Divise, bei Produzent Joel Silver kein Wunder, hieß: Nicht kleckern, sondern klotzen und so wurde ein Budget von 300 Millionen Dollar (der erste kostete 65 Millionen) bereit gestellt und mit immensem Aufwand gleichzeitig zwei Fortsetzungen realisiert, deren erste, „Matrix Reloaded“ hier besprochen wird, die Fortsetzung, „Matrix Revolutions“, folgt dann am 6. November 2003 in den Kinos.
Haben die Wachowskis ihr Ziel erreicht? Ist der Film so gut wie der erste? Nein.
Aber gemessen an der gigantischen Erwartungshaltung haben sie eine ganze Menge erreicht und so reicht es immer noch für einen grandiosen Action-Blockbuster.
Kurz nur zum Inhalt: Der Film beginnt in der letzten Enklave der freien Menschen, der Stadt Zion. Wir erleben eine aufblühende Liebesbeziehung zwischen Neo (Keanu Reeves) und Trinity (Carrie-Ann Moss), erleben Laurence Fishburnes Morpheus als Propheten und nach einer Dreiviertelstunde setzt dann die eigentliche Handlung ein: Das schon aus dem ersten Teil bekannte Orakel (die während der Dreharbeiten leider verstorbene Gloria Foster) gibt Neo auf, den Schlüsselmacher zu suchen, der sich in der Obhut eines Gangsters namens Der Merowinger befindet. Also betreten Neo, Trinity und Morpheus wieder die Matrix, besuchen den Merowinger und als sie schließlich auf den Schlüsselmacher treffen, überschlagen sich die Ereignisse...
Nun wird grob die Handlungsstruktur des Films wieder gegeben, allerdings nur ganz leicht zur Struktur gespoilert. Von den Geheimnissen des Films wird nichts wirklich Wichtiges verraten. Trotzdem: Wer ein möglichst spoiler-freies Filmerlebnis genießen möchte, sollte jetzt vielleicht nicht weiterlesen.
Der Film beginnt mit einer Action-Sequenz mit Trinity, die als Parallele zu dem Beginn von „Matrix“ gedacht ist und, trotz ihrer Kürze, ziemlich sensationell daherkommt.
Hiernach hält sich der Film dann eine gute Dreiviertelstunde in der Stadt Zion auf und man muß leider registrieren, dass die Stadt durchaus beeindruckend realisiert wurde, aber natürlich trotzdem eine Enttäuschung demgegenüber darstellt, was man an Bildern aus Teil 1, wo die Stadt nur im Dialog vorkommt, im Kopf hatte. Ferner ziehen sich einige Dialogpassagen unnötig die Geduld strapazierend in die Länge und während die Liebesgeschichte zwischen Neo und Trinity durchaus Spaß macht, was hauptsächlich auf das Konto von Carrie-Ann Moss geht, die gut ist wie nie und eine sehr starke Präsenz ausstrahlt, erinnern andere Szenen optisch und inhaltlich zu sehr an die Pseudopolitik und Handlungsmuster, die wir aus TV-Serien wie „Star Trek“ gewohnt sind. Hier wird die mystische Qualität der Trilogie allzu sehr grundiert, man hätte vielleicht nicht so viele Aspekte der Matrix-Welt ausformulieren und filmen sollen.
Unterbrochen wird dies alles durch zwei sehr gelungene Kung Fu-Einlagen und eine hübsche Sequenz, in welcher in einer Parallelmontage eine riesige Glaubensgemeinschaft in einer deutlichst bei „Metropolis“ entlehnten unterirdischen Kathedrale zu rhythmischen Techno-Klängen tanzt, und dieses einer schönen Liebesszene zwischen Neo und Trinity gegenüber gestellt wird.
Als es dann endlich (einige Dialogpassagen sind arg lang geraten) in die Matrix geht, findet sich gleich eine der schönsten Szenen des Films: Die so genannten „Hintertüren“, mit denen man jeden Ort in der Matrix erreichen kann, ein endloser, weißer Korridor mit unendlich vielen Türen die überall hinführen, ein ungemein reizvoller visueller Einfall. Türen spielen sowieso eine wichtige Rolle in diesem Film und führen immer wieder, der Erwartungshaltung der Zuschauer zuwider laufend, an Orte, die man nie vermutet hätte. Hier bedienen sich die Wachowskis deutlich beim surrelaen Kino, u.a. bei Buster Keatons „Sherlock, jr.“, und man registriert dankbar eine höchst gelungene visuelle Entsprechung von „Hintertüren“ in Computerprogrammen und die surreale, träumerische Qualität dieser Szenen.
Nach einem wie schon im ersten Teil viel zu langen und unnötig mit pseudophilosophischem Gerede (was sicherlich wieder zu endlosen Diskussionen unter den Fans führen wird) aufgeladenen Dialog mit dem Orakel kommt es zu einem weiteren großen Action-Höhepunkt in welchem Neo gegen an die hundert Agent Smiths (der aus dem „Herr der Ringe“ bekannte Hugo Weaving) kämpft. Die Szene, obwohl durchaus gelungen, zeigt eines der Probleme des Films auf. Sie wirkt nämlich ersichtlich gesucht. Denn zum einen fehlt die Ernsthaftigkeit der Verletzungsabsicht, die noch im ersten Teil den großen Kampf zwischen Neo und Agent Smith in der U-Bahn geprägt und spannend gemacht hatte und zum anderen fliegt Neo am Ende der Szene einfach weg (ja, er kann in diesem Film fliegen wie Superman, was durch grandiose Effekte und Kamerafahrten, die alleine schon das Eintrittsgeld wert sind, realisiert wird) und man fragt sich, warum er sich dann überhaupt zum eigentlich unnötigen Kampf gestellt hat.
Hier kommt eine neue Spezialeffekt-Technik zum Einsatz, wobei die Grenzen zwischen realen Bildern und CGI immer weiter verschwimmen und man eigentlich nur noch durch die physikalische Unmöglichkeit merkt, dass es sich hier um Effekte handelt. Aber, leider, wegen der gesuchten und konstruierten Art der Szene ist man emotional nicht sehr involviert, man fürchtet nicht um Leo und zum anderen ist es irgendwann ermüdend, wenn er den 76. Agent Smith gegen irgend eine Wand schmeißt.
Nach einer recht langatmigen, mit reichlich hölzern-dümmlichen Dialogen versetzen Szene in einem Restaurant mit dem Gangsterboss Merowinger und einer danach umso gelungeneren Szenen mit dessen Frau (eine schier atemberaubende Monica Bellucci) und einem weiteren, hübsch opernmäßig gefilmten Kung Fu-Kampf folgt dann der eigentliche Höhepunkt des Films: Eine Verfolgungsjagd auf einem eigens für den Film konstruierten Highway.
Diese 14minütige Action-Sequenz öffnet ein neues Kapitel im Hollywood-Action-Film, sie ist mit Abstand das beste, was jemals in Hollywood mit Autos gefilmt wurde, die Leistungen der Stunt-Crew und der Kamera sind kaum mit Worten zu beschreiben, das muss man gesehen haben, (Gott sei Dank dann auf DVD wieder und wieder und wieder und wieder), diese Sequenz kann man nicht nur, man muß sie mit den diesbezüglichen Höhepunkten der Filmgeschichte in einem Atemzug nennen, den Wagenrennen aus den Ben-Hur Verfilmungen (1926 und 1959) und der finalen Autoverfolgungsjagd aus „Mad Max II: Der Vollstrecker (1981)“, die bis heute, bis zu „Matrix Reloaded“, unerreicht war. Was hier in und auf Lastwagen, auf Motorrädern, unter und auf Brücken und mit und gegen den strömenden Verkehr auf Zelluloid gebannt wurde, kann man nur als atemberaubend, begeisternd und umwerfend bezeichnen. Die Produzenten der diesjährigen Action-Blockbuster-Konkurrenz werden sicherlich ein langes Gesicht gemacht haben, als sie diese Sequenz sahen, denn es wird vermutlich Jahre dauern, bis das mal jemand toppen wird.
Hiernach wird dann langsam das Finale eingeläutet, von dem möglichst wenig verraten werden soll, denn zum einen soll dem geneigten Leser dieser Rezension nicht das Vergnügen an dem Film genommen werden und zum anderen wird hier das gesamte Konzept der Trilogie auf den Kopf gestellt mit Szenen, die erste verständlich sein werden, wenn der dritte Teil in den Kinos anläuft.
Eine Szene sei erwähnt: Neo trifft auf den Architekten der Matrix und wenn sich das Publikum von dieser längeren Dialogpassage Aufklärung erhofft, wird es sich wundern. Diese Szene, die sowohl optisch, als auch in der Kryptik ihrer Dialoge eine so direkte Hommage an das Kino von David Lynch (insbesondere „Twin Peaks“) darstellt, dass man sich fragt, warum nicht ein Satz wie „Die Eulen sind nicht, was sie scheinen“ eingebaut wurde, sorgt bereits jetzt schon in ihrer Rätselhaftigkeit für unzählige Diskussionen im Internet, die sicherlich noch bis zum Start von „Matrix Revolutions“ anhalten werden.
Der Film endet, nach einer weiteren hübschen Action-Sequenz und einer Szene, die eine Umkehrung zu einer ähnlichen im ersten Teil darstellt, völlig abrupt mit einer Tafel: „Wird fortgesetzt“.
Wer dann noch sitzen bleibt, bis der ca. achtminütige Abspann gelaufen ist, wird noch mit einem Teaser zum dritten Teil, „Matrix Revolutions“, (etwas mehr als eine Minute) belohnt.
Fangen wir mit der großen Schwäche des Films an: Er wirkt nicht so organisch und natürlich wie der erste Teil. Wie bereits oben beschrieben, wirken einige Szenen ersichtlich gesucht und während die pseudophilosophischen Szenen in „Matrix“ eine willkommene Beilage waren, wirken sie in Reloaded ersichtlich aufgesetzt, wie ein Fremdkörper, und bremsen teilweise das Tempo unnötig aus. Fernerhin beschleicht einen viel mehr als beim ersten Teil das Gefühl, dass hinter alldem doch nur der Versuch steckt, einen oberflächlichen mystischen Grundton zu erzielen und man sich fragt, ob es wirklich lohnt, sich damit en Detail auseinander zu setzen, was der Rezensent für sich klar verneinen möchte.
Ferner ist natürlich der Reiz des Neuen weg, man sollte aber fairerweise auch nicht mit dieser Einstellung an den Film herangehen, zumal zumindest einiges davon durch den immensen Aufwand und die erneuten Quantensprünge in den Bereichen Action und Effekte wieder wett gemacht wird. Gegen „Matrix Reloaded“ wirkt „Matrix“ wie ein Kammerspiel, von dem inflationären Budget sieht man jeden Cent auf der Leinwand. Eine Warnung noch: Wer ein Kino des Overkills nicht mag, sollte diesen Film meiden, die Bilderflut über die lange Laufzeit kann einen benommen machen, das Wort „Reizüberflutung“ bekommt bei „Matrix Reloaded“ eine ganz neue Bedeutung.
Zu den Einzelleistungen, zunächst die Schauspieler: Keanu Reeves wirkt noch etwas sicherer als im ersten Teil, aber seltsam blass. Es kam ihm sicherlich entgegen, dass er möglichst wenig sagen muß. Die Akzentverschiebung bei Fishburnes Morpheus in eine noch spirituellere Richtung als im ersten Teil schwächt die Figur etwas, während Carrie-Ann Moss, wie bereits oben beschrieben, noch ein ganz Stück besser ist als im ersten Teil. Es wäre sicherlich nicht vermessen zu konstatieren, dass sie inzwischen eine der ganz großen Action-Heroinen des modernen Kinos ist und Vergleiche (die bereits verschiedentlich angestellt wurden) zu Linda Hamilton in der Terminator-Trilogie nicht zu scheuen braucht. Die Nebendarsteller machen aus ihren Rollen jeweils das Beste, Hugo Weaving ist mit seiner Betonung jeder einzelnen Silbe lässig wie immer, Monica Bellucci schlicht atemberaubend und der Tank-Ersatz (der Darsteller des Tank übertrieb es mit der Gagen-Forderung) Harold Perrineau jr. als Link fügt sich nahtlos und sympathisch in einer praktisch identisch angelegten Rolle ein.
Auch ansonsten muß man den Wachowski-Brüdern ein glückliches Händchen beim Casting bescheinigen, insbesondere die Schlüsselrollen für den Schlüsselmacher (Randall Duk Kim) den Architekten (Helmut Bakaitis) mit Nonames zu besetzen zeugt von Mut und einem richtigen Auge, denn sie holen das beste aus ihren Auftritten raus.
Hinter der Kamera wurde das gleiche Team wie beim ersten Teil versammelt und man kann von fast allen Abteilungen Bestleistungen vermelden. Die Bildgestaltung von Bill Pope ist schlicht sensationell und überzeugt durch rasante, teilweise so noch nie gesehene, begeisternde Kamerafahrten und eine, gerade in den Action-Szenen, seltene Klarheit und Übersichtlichkeit, was eine Kunst für sich ist. Die Farben sind, das war auch zu erwarten ähnlich desaturiert wie im ersten Teil. Hier wäre eine Oscar-Nominierung nicht verwunderlich, ebenso für Zach Staenburgs (der bereits für den ersten Teil einen Oscar bekam) Schnitt, der wiederum ein Optimum an Dynamik und Rhythmus erreicht. Allerdings muß man feststellen, dass sich der Inszenierungsstil der Kung Fu-Szenen im Gegensatz zum ersten Teil etwas geändert hat. Überwog in „Matrix“ noch die von dem klassischen Hong Kong Kino übernommene Auflösung von Kung Fu-Szenen mit vielen Totalen und Halbtotalen und längeren Einstellungen mit weniger Schnitten um die Artistik und Kunst der Kämpfer besser zur Geltung zu bringen, werden dieses mal die Szenen durch wesentlich mehr Schnitte strukturiert und damit geht zwangsläufig auch die Kamera näher ran an die Akteure, weil man bei weiten Einstellungen nicht so viel Dynamik durch schnelle Schnitte erreicht.
Zur Musik sei auf die ebenfalls bereits hier auf Phantastik.de erschienene CD-Rezension verwiesen. Der Soundtrack unterstützt die Bilder mit dynamischen Klängen sehr stark, die Popsongs finden sich diesmal aber praktisch nur im Abspann und der auf der CD befindliche Song von Marilyn Manson „This is the new shit“ findet sich im Film gar nicht, vermutlich, weil man blöde Wortspiele der Kritiker bei dem Titel befürchtete.
Auch alle anderen handwerklich-technischen Abteilungen sind nur zu loben, und, wie schon gesagt, die Effekte erhöhen die Messlatte für Hollywood-Spektakel noch einmal beträchtlich.
Etwas verwundert nimmt man die recht hohe Freigabe zur Kenntnis und fragt sich, warum dieser eigentlich sehr unblutige Film nicht auf die 2-3 für die Handlung nicht notwendigen blutigen Szenen verzichtet hat und somit durch eine niedrigere Freigabe ein wesentlich größeres Publikum hätte ansprechen können.
Abschließend ist festzustellen, dass diese Fortsetzung nicht den gleichen Ruf erreichen wird wie der Vorgänger, denn der Reiz des Neuen ist weg und es gibt den einen oder anderen aufgesetzt wirkenden ominösen Satz zu viel. Mit einer Vielzahl an neuen Rätseln und fulminanten, bahnbrechenden, so noch nie gesehenen Action-Szenen erlebt man aber trotzdem einen prächtigen Kinoabend.
Einem Vergleich zu „Matrix“ hält „Matrix Reloaded“ somit nicht stand, damit hatte eigentlich aber auch niemand gerechnet, und im Vergleich zu anderen Hollywood-Blockbustern neueren Datums dürfte Reloaded auf jeden Fall erst mal den neuen Platzhirsch, oder, wie die Amerikaner das nennen, den neuen 800 Pfund-Gorilla, darstellen.