Christoph Marzi
Lilith
Titelillustration: Dirk Schulz
Heyne, 2005, Paperback, 638 Seiten, 14,00 EUR, ISBN 3-453-52135-3
Von Carsten Kuhr
Vier Jahre nach den unheimlichen Geschehnissen, von denen uns in „Lycidas“ berichtet wurde, wird London und die „Stadt unter der Stadt“ erneut vom Bösen heimgesucht. Widergänger und Vampire treiben ihr Unwesen, Menschen verschwinden, Altägyptische Götter werden ermordet. Die Spur führt das Waisenmädchen Emily Laing und ihre Freundin Aurora auf verschlungnen Pfaden tief hinein ins Unbekannte. Vermeintliche Freunde entpuppen sich als Verräter, Widersacher werden zu Helfern, die Hinweise deuten zur Stadt unter Paris und von dort tief hinein in die Hölle. Denn steht nicht geschrieben „Alles wird irgendwann wieder leben“? Nur die wiedergeborenen Lilith kann das Unheil das der Welt in Form der Vampir-Pest droht aufhalten, doch deren Asche ruht versteckt tief in den Kreisen der Hölle.
Christoph Marzi hat mit „Lycidas“ einen beeindruckenden Debütroman vorgelegt. Nicht von ungefähr erhielt er für diesen den Deutschen Phantastik Preis. Konnte er aber mit der Fortsetzung die hohen Erwatungen erfüllen fragte ich mich vor Beginn der Lektüre.
Jein – so ganz einfach ist diese Frage nicht zu beantworten. Unsere Heldin und ihre Helfer sind vier Jahre älter und damit reifer geworden. Die grausame Zeit in dem Waisenhaus, die uns im ersten Band noch so anrührte, gehört glücklicherweise der Vergangenheit an, die Stadt unter der Stadt ist uns inzwischen vertraut. Dennoch sind unsere beiden Freundinnen nicht glücklich. Emily bleibt weiterhin ausgegrenzt, Aurora einsam.
Nicht ungeschickt versucht der Autor, seine Handlung an einen anderen Ort zu verlegen. Leider aber blieb Paris und die Metropole unter der französischen Hauptstadt gerade im Vergleich zur Faszination, die im ersten Band die Stadt der Schornsteine ausstrahlte, blass, ja leblos. Dann aber legt der Autor plötzlich eine Schippe drauf. In einem „Roman im Roman“ berichtet er uns von der Entdeckung und Öffnung des Grabes von Tut-Ench-Amun, von einer längst vergangenen Zeit, als die Nilhochkultur in ihrer Blüte stand, und die Seuche des Vampirismus erstmals eine Metropole bedrohte.
Plötzlich war sie wieder da, die fast mühelos erscheinende Faszination, mit der Marzi mich einfing, förmlich an die Seiten fesselte. Interessante Charaktere, eine überraschende, kurzweilige Handlung, faszinierende Settings, da passt alles zusammen. Ich hatte fast ein wenig das Gefühl, dass er, als er einmal seinen Blick von Emily abwenden und sich einer anderen Hauptperson annehmen konnte, befreit aufschrieb.
Wäre es ihm gelungen dieses Niveau den ganzen Roman über aufrechtzuhalten, er hätte sein Erstlingswerk übertroffen, So liegt ein zwar spannender, zeitweilig begeisternder Roman vor, der aber insgesamt fehlt dem Band die ganz große Intensität, die sein Debüt ausstrahlte.