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Malastrana (DVD)

Malastrana
DVD
Italien/Deutschland/Jugoslawien 1971, Regie: Aldo Lado, mit Mario Adorf, Ingrid Thulin, Jean Sorel, Barbara Bach u.a.

Von Thomas Harbach

Mit „Malastrana“ – der Titel nimmt Bezug auf die engen Straßen Prag, in welchem der Film fast ausschließlich entstanden ist - legt die Koch Media einen subversiven Politthriller oder anders herum einen intellektuellen Horrorfilm italienischer Bauart – und das ist positiv gemeint – mit internationalem Flair und einer auch heute noch sehr guten Schauspielergruppe – Jean Sorel als lebende Leiche, die wunderschöne Ingrid Thulin durch die Rückblendenstruktur fast mythisiert, Barbara Bach und Mario Adorf in wichtigen, aber untergeordneten Rollen – vor. Regie führte Aldo Lado, der immer wieder mit kleinen Meisterwerken wie diesem auf sich aufmerksam machte, aber in der Gesamtbetrachtung seines Werkes als solider Handwerker mit bescheidenen Mittel charakterisiert worden ist.

Jean Sorrel spielt den amerikanischen Auslandskorrespondenten Gregory Moore. Er wird in einem Park in Prag tot aufgefunden und ins Leichenschauhaus gebracht. Anscheinend ist er an seiner letzten Story gescheitert, doch eine Todesursache kann nicht festgestellt werden. Dabei ist er nicht tot, sondern komplett erstarrt. Seine Atmung ist reduziert. Der Zuschauer erfährt diese Tatsache im Gegensatz zu Moores Umgebung durch seinen Versuch, mit seiner Umwelt Kontakt aufzunehmen. Seine verzweifelten Schreie verhallen im Nichts. Nur in einer Art intimer Kommunikation kann er dem Zuschauer seine Geschichte erzählen. Neben der Auflösung seines Unglücks führt Lado sehr geschickt eine zweite, noch unangenehmere und intensivere Spannungsebene ein: wird Moore von seinem Leiden erlöst und wieder lebendig oder droht ihm ein Ende, dass Sluizers „The Vanishing“ zu einem Klassiker machte? Es ist nicht ausgeschlossen, dass dieser Film – ursprünglich unter dem englischen Namen „Short Nights of the Glass Doll“ gelaufen – ihn zu „The Vanishing“ zumindest inspirierte.

Der Zuschauer erfährt, dass Moore nach seiner verschwundenen Verlobten Mira in einem politisch instabilen Prag gesucht hat. Seine Recherche führt ihn in eines der reichsten Viertel der Stadt, in dem ein Club dekadenter alter Männer sein unheimliches, sektenartiges Werk verrichtet. Auf dem Weg zu seinem Ziel lauern eine Reihe von Gefahren und pflastern eine Reihe von Leichen seinen Weg.


„Malastrana“ ist ein morbides Kleinod. Die stimmungsvolle, ins Ohr dringende Musik Ennio Morricones wird von satten Bildern einer geschichtsträchtigen, aber dekadenten und in sich selbst verliebten Stadt unterstützt. Die zerbrochene Erzählstruktur mit einem ersten Schock gleich zu Beginn des Films wirkt sehr effektiv auf seine Zuschauer. Die Urangst vor dem „Lebendig begraben werden“ elektrisiert. Niemand möchte dieses Schicksal erleiden und in der Tradition Poe´scher Geschichten, aber mit einem modernen – für die 70er Jahre dank des eisernen Vorhangs aber immer noch exotischen – Hintergrund schlägt die verschlungene Geschichte auch heute noch in ihren Bann. Lado stellt Prag – im Grunde die eigentliche Hauptperson, da sie fast wie ein eigener Charakter inszeniert wird – als Labyrinth unübersichtlicher, dunkler Gassen dar. Dann immer wieder der Schwenk auf die herrschaftlichen Paläste mit ihrer Geschichten und ihren Geschichten. In diesen elitäre, abgeschlossene Stadt gerät ausgerechnet ein Amerikaner, ein amerikanischer Journalist. Modern, laut, lebenslustig, ein wenig arrogant und selbst verliebt. Der kommunistische Osten trifft den kapitalistischen Westen könnte die Botschaft lauten, doch in der Mitte des Films zeigt Lado schonungslos, wie falsch und klischeehaft diese Vorstellung in Wirklichkeit ist. Wie ein Spinnennetz hat sich eine neue Machtebene in der alten Stadt ausgebreitet und regiert mit schonungsloser Gewalt, wenn ihre Geheimnisse in Gefahr sind. In einer modernen Stadt wie New York oder L.A. hätte dieser Thriller zumindest in den siebziger Jahren im Gegensatz zu vielen anderen italienischen Mafiathrillern nicht funktionieren können. In der Tradition des klassischen Kriminalfilms aufgesetzt, wird die düstere und bedrohliche Atmosphäre immer intensiver und spürbarer. Wie eine unsichtbare Faust drückt sie den hilflos reagierenden, aber selten agierenden Moore zusammen. Die Horrorelemente werden geschickt, aber dezent eingesetzt. Dank der stimmungsvollen Musik, der sehr guten Kameraarbeit von Giuseppe Ruzzolini funktioniert der Film trotz eines eher steifen – das gilt für die Passagen, in denen er lebendig ist – Hauptdarstellers sehr effektiv und ist auch heute noch sehenswert.


Nach einer Reihe von gekürzten Veröffentlichungen – unter anderem unter dem sinnigen Titel „Das Todessyndrom“ – veröffentlicht Koch Media im Format 2.35:1 eine überraschend saubere und farblich sehr gut gestellte ungekürzte Fassung des Filmes. Es empfiehlt sich, obwohl die deutsche Synchronisation nicht schlecht ist, den Film im Original mit deutschen Untertiteln anzusehen. Die einzelnen Akzente der Schauspieler unterstreichen die Exotik Prags besser als in der deutschen Fassung. Das achtseitige Booklet von Christian Kessler ist informativ und sachlich geschrieben, auch wenn er in der zweiten Hälfte auf den oft herrlich ironischen, manchmal aber auch übertriebenen Stil seiner „Splatting Image“-Artikel zurückgreift. Auch wenn Mario Adorf eine gewaltige Persönlichkeit ist, hat er nicht nur gute Filme gedreht, wie er – im Gegensatz zu Kessler – im anschließenden Filminterview auch zugibt. Angereichert von gut wiedergegebenen Farbbildern erhält insbesondere der mit dem italienischen Film dieser Epoche nicht vertraute Käufer einen kompakten, komprimierten Überblick, der Regisseur und Schauspieler gleichermaßen gerecht wird.

Den Audiokommentar bestreitet Jürgen Drews alleine. Nach einem gelungenen Auftakt – der Film zeigt Prag und Drews berichtet, dass er nur einmal in seinem Leben in der goldenen Stadt gewesen ist, aber nicht für diesen Filmdreh – zeigt sich, dass er den Film schon seit langer Zeit nicht mehr gesehen hat. Er möchte über sein Auftaktlied berichten, wird aber durch einzelne Szenen wie den ersten Auftritt der „Leiche“ Jean Sorrels immer wieder unterbrochen. Er bemüht sich, seine Zuhörer zu unterhalten. Da er aber nur eine kurze Rolle im eigentlichen Film hatte, wirkt sein Kommentar unvollständig. Insbesondere bei einem solch genreübergreifenden und von der Qualität herausragenden Beispiel des italienischen Thrillerkinos wäre es effektiver gewesen, entweder einen gestandenen Mann wie Mario Adorf oder vielleicht sogar auf Jean Sorrel zurückzugreifen. Im ersten Fall wahrscheinlich nicht bezahlbar, es sei denn, der Maestro macht es aus Liebe zum Film. Im zweiten Fall wäre die Tonspur wahrscheinlich in englisch gewesen, aber da es sich um eine von Sorrels vielseitigsten Rollen gehandelt hat, informativer gewesen. Obwohl es sich um eine seiner ersten Audiokommentare gehandelt hat, ist Jürgen Drews bemüht, dem Zuschauer Informationen zu geben und seine eigene Persönlichkeit nicht zu sehr in den Vordergrund zu stellen. Außerdem verfügt er unabhängig von seinen Gesangsfähigkeiten über eine angenehme Stimme, der man gerne zuhört.

Zu den Specials gehört der englische Trailer von „Short Night of the Glass Dolls“. Knapp drei Minuten lang und von – für dessen Alter – erstaunlicher Qualität deutet er die originelle Erzählstruktur nur an. Der Zuschauer wird aber von Ennio Morricone unverwechselbarer Melodie und einem bunten Reigen wunderschöner Frauen gefangen genommen. Die Dialoge sind dem Film entnommen, es gibt im Gegensatz zur heutigen Zeit keinen übergeordneten Erzähler. Die Bildergalerie besteht aus der Reproduktion dreier Filmposter und den Aushangsfotos. Es wäre schön gewesen, wenn Koch Media vielleicht noch Fotos des Teams hinter den Kulissen dieser sehr kurzen Galerie hinzugefügt hätte.

Der Höhepunkt der Specials ist die halbstündige Featurette „Abenteuer Filmemachen“, in welcher Mario Adorf, begleitet von einer Reihe von Filmausschnitten und Fotos seiner vielen in Italien entstandenen Filmen begleitet, über seine Karriere, aber zumindest auch ansatzweise über die Entstehung dieses Films berichtet. Der Ton in den Interviewpassagen klingt ein wenig hohl. Dabei geht er nicht nur auf seine eigene Persönlichkeit/Rolle in der Entstehung der oft sehr gewalttätigen Mafiathriller ein, sondern beschreibt die aus heutiger Sicht oft unglaublich primitiven und für die Darsteller gefährlichen Produktionsbedingungen. Über die eigentlichen Film „Malastrana“ kann er nur noch wenig sagen, wenn er auch den Hauptdarsteller Jean Sorel nicht zuletzt wegen seiner komatösen Rolle als nicht sonderlich starken Gesichtsmimen bezeichnet.
Sehr amüsant sind seine Erinnerungen an die Felsenwand in „Winnetou I“ und das Mittagsessen bei der Hartwig-Produktion. Immerhin war Adorf schon in den früher 60er Jahren in der Lage, Schecks über 5000,-- DM zu schreiben. Das zeigt, welche Summen er schon zu Beginn seiner Karriere in eher drittklassigen Produktionen verdient hat.

Da auch der Hauptfilm in erster Linie aus Rückblenden besteht, bewegt sich Mario Adorf bei seinem Interview auch kontinuierlich und chronologisch zurück. Aktuell wird er Beitrag wieder in seinem Bezug auf Sam Peckinpahs „Major Dundee“ und dessen Schwierigkeiten mit der Columbia Produktionsgesellschaft. Inzwischen liegt Peckinpahs Film weitestgehend in seiner ursprünglichen Intention vor.

Wahrscheinlich könnte Mario Adorf stundenlang über seine viele Filme erzählen. Diese kurze Featurette ist ein amüsanter, anekdotenreicher Überblick über sein reichhaltiges Schaffen. Wenn er mit anderen Kollegen oder Regisseuren/Produzenten nicht zurechtgekommen ist, dann sagt er es deutlich, aber moderat. In Bezug auf seine eigene Persönlichkeit beschreibt er öfter mit einem breiten Lächeln auf den Lippen die verschiedenen Vorgänge in seinen Filmen, ohne sich in den Mittelpunkt zu stellen. Mario Adorf erfüllt die einfache Anforderung des Titels, er erzählt aus seinem Filmschaffen und Mike Siegel gibt ihm den Raum, wirklich zu erzählen. Keine Zwischenfragen sind notwendig. Nicht zuletzt dank der vielen Fotos und Filmausschnitte, aber weniger wegen der Verwendung eines einzigen Filmsoundtracks ist dieser kurzweilige Beitrag sehenswert.

„Malastrana“ ist eine gelungene Neuveröffentlichung eines der effektivsten Paranoiathriller des italienischen Kinos. Für die 70er Jahre nicht nur ein oberflächlich politisch kritisches Werk – wer den Mafiathrillern oder den Polizeifilmen Umberto Lenzis folgt, der weiß, dass hinter der oft vordergründig sensationslüsternen Darstellung von plumper Gewalt eine kritische, oft auch innenpolitisch selbstkritische Botschaft versteckt ist - , sondern dank seiner effektiven wie ungewöhnlichen Erzählstruktur, einer Reihe von skurrilen, aber niemals überzeichneten Charakteren und schließlich einer spannenden, verschachtelten Handlung eines der auch heute noch zu entdeckenden Meisterwerke dieser inzwischen fast in Vergessenheit und nur noch von einer Handvoll Fans aufrechterhaltenen Epoche des eigenständigen italienischen Films. Die Präsentation des Films ist ansprechend, das Ambiente – Schubbox, sehr schöne Reproduktion der Fotos im Booklet, aber auch – wenn auch ein wenig zu klein – in den Specials – stimmig und insbesondere das Interview mit dem Übermann, aber Macho mit Format Mario Adorf neben dem Film an sich das Highlight dieser sehr empfehlenswerten Neuveröffentlichung.

DVD-Facts:
Bild: 2,35:1 (16:9)
Ton: deutsch Dolby Digital 2.0, englisch Dolby Digital 2.0
Untertitel: deutsch

DVD-Extras:
Audiokommentar von Jürgen Drews, Featurette mit Mario Adorf, Booklet, Bildergalerie

hinzugefügt: May 15th 2006
Tester: Thomas Harbach
Punkte:
zugehöriger Link: Koch Media
Hits: 3014
Sprache: german

  

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