Mary Gentle
1610: Kinder des Hermes
(1610 A Sundial in a Grave Part 3 4)
Aus dem Englischen übersetzt von Rainer Schumacher
Titelillustration Les Edwards
Bastei-Lübbe, 2006, Taschenbuch, 397 Seiten, 8,95 EUR, ISBN 3-404-20537-0
Von Carsten Kuhr
Im zweiten, abschließenden Teil von Mary Gentles Roman um den französischen Spion und Königsmörder Rochefort findet dieser sich in einer ungewohnten Rolle wieder. Diesmal gilt sein Streben, den amtierenden König James am Leben zu erhalten und den Anschlag des Kronprinzen zu vereiteln. Nur so kann er sich die Dankbarkeit des Herrschers sichern, und sein Ziel, seinen alten Gönner und Freund, den ehemaligen Finanzminister Frankreichs vor der Medici Königin zu schützen, erreichen. Doch dies bedeutet auch, dass er die Rache seiner Begleiterin an dem englischen Gelehrten und Propheten Robert Fludd, in dessen Auftrag sie vergewaltigt wurde, verhindern muss. So findet Rochefort sich eingezwängt zwischen Skylla und Charybdis, weckt doch die in Männerkleidern Duellantin seine perversesten Gelüste und tiefsten Empfindungen. Zwar gelingt es ihm, das Attentat zu verhindern, doch dann kommt die französische Medici-Königin auf ihrem Rachefeldzug gegen Rochefort auf die englische Insel, und ein vermeintlicher Freund entpuppt sich als Verräter - genauso, wie es Fludd vorherberechnet hat ...
Stand der erste Teil des Romans ganz in der Nachfolge der legendären Mantel- und Degenromane a la Alexandré Dumas, so entwickelt sich der Plot in vorliegendem Teil in Richtung eines Thrillers. Die Anzahl der Kämpfe und Duelle nehmen ab, die kriegerischen Auseinandersetzungen treten mehr und mehr in den Hintergrund. Statt dessen rücken politische Intrigen, das Spiel um die Macht ins Zentrum des Geschehens. Dies hat zur Folge, dass Rochefort naturgemäß als Flüchtling ohne eigene Machtbasis an Bedeutung verliert. Zusammen mit ihm werden wir von den Geschehnissen überrollt, ohne selbst wirklich noch .entscheidend eingreifen zu können. Zwar gelingt es ihm, sich der Dankbarkeit James´ zu versichern, aber angesichts weltpolitischer Erwägungen ist ein Bauernopfer allemal vorstellbar. Insoweit ist unser Protagonist diesmal auch lange nicht mehr die strahlende, charismatische Person des ersten Bandes. Während er dort plante und agierte, reagiert er diesmal mehr, wird zum Spielball der Geschehnisse. Auch dass der mysteriöse Fludd, der mit seinen Rechenkünsten die Zukunft vorherzusagen vermag diesmal kaum mehr persönlich in Erscheinung tritt ist zu bedauern. Ich hätte gerne mehr von dieser faszinierenden Person erfahren. Statt dessen berichtet Gentle uns von König James, der als etwas behäbiger Provinzkönig aus Schottland portraitiert wird.
Die ganz große Faszination, die die ungewöhnlichen Persönlichkeiten des ersten Teils ausgestrahlt hatten, fehlt in diesem Part. Alles wirkt ein wenig distanzierter, ein wenig geruhsamer als zu Beginn des Romans. Der Text verliert zunehmend an Tempo, ja, an Spannung - einfach dadurch, dass Rochefort nicht mehr in der ersten Linie steht, sondern mehr begleitend die Geschehnisse erlebt.
Zwar liest auch dieses Buch sich spannend auf einen Rutsch durch, aber das Besondere, das die letzten Titel Gentles ausgezeichnet hat, die atemlose Spannung in Verbindung mit einer ungewöhnlich dicht gewebten Authentizität lässt dieser Roman ein wenig vermissen.