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X-Men: Der dunkle Spiegel, Marjorie M. Liu (Buch)

Marjorie M. Liu
X-Men - Der dunkle Spiegel
(X-Men: Dark Mirror)
Übersetzung: Timothy Stahl
Panini/Dino, 2006, Taschenbuch, 310 Seiten, 9,95 EUR, ISBN 3-8332-1404-X

Von Frank Drehmel

Ihrer Kräfte beraubt und völlig desorientiert erwachen Jean Grey, Cyclops, Wolverine, Nightcrawler und Rogue in einer Irrenanstalt, gefangen in fremden Körpern, ohne Erinnerung daran, was oder wer den Geistestransfer ausgelöst hat. Obwohl sie mit ihren neuen Physiognomien nicht vertraut sind und pikanterweise bei einigen Gefährten sogar das Geschlecht das “falsche” ist, finden die fünf Gefangenen auf Grund ihrer Erfahrung dennoch schnell zueinander. Gemeinsam machen sie auch schnell den Hauptverdächtigen für den ganzen Schlamassel aus: Dr. Maguire, der Anstaltspsychiater, der in den vergangenen Wochen die fünf „Wirtskörper“ betreute.
Da sich jener Herr mit unbestimmten Ziel aus dem Staub gemacht hat, müssen die Helden zunächst aus der Klinik fliehen, um sich auf seine Spur setzen zu können, während gleichzeitig die Notwendigkeit besteht, die Kameraden in der X-Mansion vor den falschen Freunden zu warnen. Dort haben Gambit, Jubilee und Ororo, die das Institut vorübergehend leitet solange sich der Professor unerreichbar auf einer Auslandsreise befindet, zwar schon Verdacht geschöpft und deshalb ihre Schüler in Sicherheit gebracht, allerdings können sie nicht erkennen, was genau mit Jean & Co. los ist.
Auch ohne ihre Kräfte gelingt den fünf Helden die Flucht aus der Anstalt, den Doktor finden sie jedoch vorerst nicht. Weil zugleich jeder Versuch einer Kontaktaufnahme mit Storm von den Körperdieben zunichte gemacht wird, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich auf den langen Weg ins Hauptquartier zu machen ... quer über den Kontinent, ohne Geld und in “schwachen” Körpern.
Derweil droht in der X-Mansion, die Lage zu eskalieren.


Wie gewöhnlich, wenn ich den Roman eines mir unbekannten Autors respektive einer Autorin in der Hand halte, versuche ich, mich vor dem Lesen über diese Person schlau zu machen. Nachdem mich die Recherche auf Marjorie M. Lius Website geführt hatte, schwante mir für das vorliegende Buch nicht zuletzt wegen der dort angeführten Titelbilder sowohl ihrer Dirk & Steele-Reihe als auch das amerikanischen X-Men-Originals, Dark Mirror, Fürchterliches: Herz-Schmerz und Mystery-Romantik ad nauseam!

Glücklicherweise erwiesen sich meine Befürchtungen als unbegründet, denn auch wenn „X-Men - Der dunkle Spiegel“ kaum typische Superhelden-Action wie Augen-Strahlen, Adamantium-Klauen, Unwetter und andere spektakuläre Phänomene bietet, mit einer einfach konstruierten Story und einem nicht unbedingt originellen Grundplot aufwartet, so ist er doch überdurchschnittlich gut geschrieben und - vor allem - außerordentlich unterhaltsam.

Das herausragendste Merkmal des Buches ist die Situationskomik, die sich aus der Art des Körpertausches ergibt: Scotts & Jeans auf „den Kopf gestellte“ Beziehung - er als Frau, sie als Mann - oder Wolverine in der Gestalt einer grazilen Blondine bieten den Aufhänger für zahlreiche urkomische Szenen und Dialoge. Dementsprechend sind es auch diese drei Charaktere, die im Rampenlicht stehen, während Rogue, Kurt und die anderen involvierten X-Men - Ororo, Jubilee, Gambit - dezent in den Hintergrund treten, ohne dabei zur bloßen Staffage zu verkommen.

Neben dem Humor ist die plastische Ausarbeitung der Figuren positiv hervorzuheben. Liu legt viel Wert darauf, den „Menschen“ hinter dem Mutanten zu beleuchten, das was die Helden im Kern ausmacht. Während in den Mainstream-Comics, zu welchen man die unterschiedlichen X-Men-Serien zweifellos in toto zählen kann, nach wie vor die vordergründige Visualisierung ein Hauptanliegen ist und sich Charaktere eher über ihre Kostüme bzw. Kräfte definieren als über ihre inneren Werte, lässt uns die Autorin hier im Roman am Seelenleben der Protagonisten teilhaben. Dabei streift sie, gleichsam en passant, sowohl ethische Fragen als auch politische und bemüht sich, den X-Men-Kontext auf reale gesellschaftliche Verwerfungen zu übertragen.

Zum Dritten kommt auch die Spannung nicht zu kurz. Dabei gipfelt diese nicht in einem Action-Overkill und Gewaltszenen, sondern kommt auf eine eher unterschwellige, latente Art daher. Der Leser empfindet die falschen X-Men selbst dann schon als bedrohlich als diese noch gar nicht negativ in Erscheinung getreten sind. Die bedrückende Hilflosigkeit der Helden innerhalb der Anstalt geht dem Leser dank Lius schriftstellerischem Können ebenso nahe wie die Geschehnisse während der Heimreise.

Anzumerken wäre, dass der Roman ein Grundwissen um Figuren und Vorgänge im X-Men-Universum voraussetzt, denn andernfalls böten Textstellen wie, „[...] die Fähigkeit zur Teleportation, die Gewandtheit, die selbst seinen Schwanz mit einschloss“ [S.79], Anlass zu zotiger Missinterpretation (^^).

Abschließender Dank gilt dem Panini-Verlag dafür, dass er die deutschen Leser mit dem unterirdisch schlechten, vollkommen indiskutablen und Augen beleidigenden Coverbild des amerikanischen Originals verschont hat und stattdessen ein neues - nicht unbedingt passendes, dafür aber sehr stylishes - Titelbild wählte.

Fazit: Ein unterhaltsamer, sehr gut geschriebener Roman, dessen Story zwar etwas Vorwissen hinsichtlich des X-Men-Backgrounds erfordert, der den Leser dafür aber sowohl mit humorvollen Szenen als auch netten Charakter-Momenten belohnt und lediglich die Action-Fans „dicken Backen“ machen lässt.

hinzugefügt: June 3rd 2006
Tester: Frank Drehmel
Punkte:
zugehöriger Link: Dino
Hits: 3621
Sprache: german

  

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