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Byers, Richard Lee: Vergessene Reiche - Das Jahr der abtrünnigen Drachen 1: Der Zorn (Buch)

Vergessene Reiche - Das Jahr der abtrünnigen Drachen 1
Richard Lee Byers
Der Zorn
(The Rage)
Übersetzung: Mirko Schmittinger
Feder & Schwert, 2006, Taschenbuch, 392 Seiten, 11,95 EUR, ISBN 3-937255-79-6 bzw. ISBN 978-3-937255-79-8

Von Frank Drehmel

Was in einem kleinen Dorf als lockerer Drachentöter-Job für vier Helden - Dorn, dem Kämpfer, halb Mensch, halb Eisengolem, Will dem Halblings-Dieb, dem Priester Lathanders, Pavel, und schließlich dem Frostzwerg Ryran - begann, erweist sich schnell als Auftakt einer Queste, von deren Ausgang das Schicksal ganz Faerûns abhängen könnte. Nach vielen Jahren der Ruhe sammeln sich in allen Ecken der Welt gute wie böse Drachen, getrieben von einem unerklärlichen Willen zu zerstören und zu töten.

In Begleitung der geheimnisvollen Bardin Kara, einer abtrünnigen Lieddrachin in der Gestalt einer Menschenfrau, reisen die tapferen Streiter nach Lyrabar, um Königin Sambryl von der heraufziehenden Gefahr zu unterrichten und um der Ursache des Drachenzorns auf die Spur zu kommen. Kaum dort angekommen schließt sich ihnen ein weiterer Mitstreiter, der Avariel (Anm: ein geflügelter Elf) Taegan Nachtwind, an, dem der Zufall das „Buch der Drachen“ in die Hände spielte, jenes heilige Werk des Drachenkultes, das von Sammaster selbst geschrieben sein soll.
Zwar vermuten die Helden, dass sich irgendwo in den Texten Hinweise auf das aktuelle Problem finden lassen, jedoch sind sie nicht in der Lage, die verschlüsselnden Schriftzeichen zu lesen oder zu deuten. Selbst die Magie eines weiteren Verbündeten, des Vampir-Drachens Schwefel, bringt sie keinen Schritt weiter. So beschließen die Abenteurer, ihre Kräfte aufzuteilen: während Taegan die lyrabarischen Truppen im unmittelbaren Kampf gegen die tobenden Monster unterstützt, begeben sich Kara, Dorn, Will, Pavel und Ryran auf eine lange Reise, die den Spuren Sammaster folgt, um dadurch etwas über die Ursprünge des Kultes und des Buches zu erfahren, das ihnen bei der Entschlüsselung helfen könnte.


Ein großartiges Buch, welches dem aufgeschlossen Leser tiefe Einblicke in die eigene Psyche und emotionale Stabilität bietet: vom Unglauben, dass sich ein Verleger für diesen „Roman” finden ließ, über die Wut, dafür Geld rausgeschmissen zu haben, die resignative Erkenntnis, dass früher sowieso alles besser war, bis hin zur Freude darüber, dass man einen der schlechtesten (A)D&D-Romane ohne größere geistige nachhaltige Beeinträchtigung überstanden hat, bietet der Roman alles an Emotionen, was sich ein masochistisch orientierter Leser - jemand der normal “tickt”, wird diesen Trash nach allerspätestens Seite 100 dem Papier-Recycling zuführen (oder ihn über ebay verhökern) - nur wünschen kann.
Dabei beginnt das Trauerspiel gerade für diejenigen ganz harmlos - um nicht zu sagen vielversprechend -, die sich als profunde Kenner der Materie in vorfreudiger Erregung mit den „alten” (A)D&D-Quellenbänden, „Der Bund der Harfner” von Ed Greenwood und „Der Drachenkult” von Dale Donovan, ein kleines, Appetit anregendes Hors d´oeuvre genehmigt haben, denn tatsächlich wird der geneigte Leser mit D&D-spezifischen Begriffen - Personen-, Städte-, Monats-, Götter-, usw-Namen - so zugedröhnt, dass er nicht mehr weiß, ob er Mann oder Frau, Gnom oder Ork ist. Natürlich ist dieser sehr massive und rücksichtslose Einstieg in das „Vergessene Reiche”-Setting nichts für D&D-Neulinge. Doch was soll’s? Als hintergrundsicherer Faktenhuber nähme man dieses gerne in Kauf, wenn die Geschichte ansonsten stimmig und die Charaktere lebendig wären. Bedauerlicherweise aber ist die Story, also der Leim, der die ganzen schönen D&D-Wörter verbindet, nicht viel interessanter als der Index eines beliebigen Regelwerks und die Charaktere sind so platt, dass ihre Vita und ihr Hintergrund auf einem Charakterbogen in der Größe einer Briefmarke Platz fänden.

Den größten Raum in diesem „Roman” nehmen Kampfbeschreibungen ein: große Drachen gegen kleine Drachen, chromatische Drachen gegen metallene Drachen, untote Drachen gegen lebende Drachen und mittendrin unsere Helden, die den Echsen mit ihren Todespfeilen, Todes-Kriegs-Killer-Monster-Schleudern und ihrem 12-HackmasterTM-Schwert zeigen, wo die kleinen Völker die Locken haben. Und vergessen wir den Priester nicht, der, wenn die literweise mitgeführten Heiltränke tatsächlich mal zu Neige gehen, mit seiner Magie die Mit-Helden ruckizucki genesen lässt.
Dass diese stupiden und stereotypen Kämpfe schnell maßlos langweilig werden, weil der Leser zu keinem Zeitpunkt das Gefühl hat, einer der Guten würde auch nur in der Gefahr schweben, sich dauerhaft die Fönfrisur zu ramponieren, erkennt der Autor entweder nicht, oder er ignoriert es mangels besserer Story-Ideen geflissentlich. Zudem degradiert Byers en passant eines der mythischsten D&D-Wesen, den Drachen, zu einem vertrottelten und letztlich auch harmlosen Horthocker, der - Heuschrecken-like - nur gefährlich ist, wenn er in Massen auftritt. Ein ähnliche Diminutivierung widerfährt auch dem Onkel Sammaster, seines Zeichens Ex-Auserwählter Mystras, einer, den die Götter selbst gefürchtet haben, einer, den die Byers-Leser fortan als Sammasterlein bezeichnen werden, als lustigen Leichnam, ein bisschen böse zwar, aber nicht grauenhaft gefährlich.

Der Rest der Story - also das, was nicht Hauerei ist - erscheint auf den ersten, zweiten und dritten Blick wie die uninspirierte, unoriginelle und letztlich auch uninformative Nacherzählung einer Samstag-Abend-RPG-Runde durch einen Autor, der den Unterschied zwischen Roman und Abenteuermodul nicht begriffen zu haben scheint. Insbesondere das Fehlen von Innenansichten der Protagonisten und die absolut mangelhaften, oberflächlichen Bilder bzw. Beschreibungen von Handlungsorten verhindern, dass der Leser, der die Geschichte - anders als ein Rollenspieler - nicht selbst „erleben” kann, eine Beziehung zu den Figuren aufbaut bzw. sich in das Handlungsgeschehen einbinden und von ihm mitreißen lässt. Einige Passagen wiederum wirken in höchstem Maße lächerlich und deplatziert: wenn die Helden in Crime Scene Investigation- (oder kurz: CSI-) Manier, das Papier und die Tinte des Drachenbuches (magisch) analysieren, um so seine Herkunft und sein chronologisches Werden zu evaluieren, so kann die einzig angemessene Reaktion auf diesen Blödsinn eigentlich nur ein mitleidiges Lachen sein.

In Bezug auf die Charaktere besteht - neben dem Mangel an glaubwürdigen, nachvollziehbaren Emotionen und Motiven - ein weiteres Problem darin, dass sie mit Ausnahme Dorns keinerlei Vergangenheit haben, dementsprechend nur durch ihre D&D-klischeehafte Funktionalität (Priester, Dieb, Kämpfer, Barde) in der Geschichte verankert sind und vollkommen austauschbar erscheinen. Selbst Dorns Drachenhass erscheint unter diesem Licht als vordergründiger Aufhänger für öde Action, denn auch seine Vita ist so kurz gehalten, dass sich daraus nichts plausibel ableiten lässt. Äußerst ärgerlich ist zudem, dass Dorns Existenz als Halb-Eisengolem und die sich daraus ergebenden Fragen und Probleme nicht thematisiert werden, und nur insoweit von Handlungsrelevanz sind, als es die Kämpfe betrifft: Metallarm nach vorne und durch!

Stilistisch kommt der „Der Zorn” mainstreamhaft daher, ohne Wortgewalt oder fordernden Satzbau, sodass auch Kinder zumindest von dieser Seite her keine Probleme mit dem Buch haben sollten. Dass sich der Autor über den Aufbau der Geschichte und ihre innere Logik kaum Gedanken gemacht hat, die weiter als bis zur nächsten Dödeldorfer Drachenkloppe reichen, zeigt sich besonders deutlich an einer Stelle: Kara erzählt den vier Drachentötern „ihre Geschichte”. Für Byers ist dieses kein Anlass, seine auktoriale Erzählperspektive - als allwissender Erzähler - zu verlassen, um das Geschehen durch die Augen der Lieddrachin als Ich-Erzählerin zu schildern. Wozu auch? Das erforderte Nachdenken, ein Hineinversetzen in die erzählende Person, machte Arbeit, die ein Leser sowieso nicht honorierte.

Ein letzter Minuspunkt - jener, der das Fass zum Überlaufen bringt und mir die Entscheidung leicht macht, mich von dieser Trilogie im besonderen und Feder & Schwert-Romanen im allgemeinen zu verabschieden - betrifft den mir vollkommen unverständlichen, von einem lächerlich künstlerisch-elitären Habitus getragenen Verzicht des Verlags auf die Umsetzung der nicht mehr ganz so neuen Rechtschreibreform 2004. Man mag mich für kleinlich halten, aber ein Verlag, der sich einer Weiterentwicklung und einer in weiten Teilen logischen Erneuerung der Sprachkultur aus rein missionarischen, nicht sachgerechten Gründen verweigert, verdient allenfalls meine Nicht-Beachtung, ganz gewiss aber nicht mein Geld.

Fazit: Der fraglos interessante Ansatz um den Drachenzorn und Sammasters Rückkehr wird vom Autor gnadenlos in den „Sand gesetzt”. Die einfache und zuweilen einfältige Story um vollkommen charakterlose Charaktere bietet D&D-Kennern - und Einsteigern sowieso - nichts als langweilige Dumpf-Action.

hinzugefügt: July 21st 2006
Tester: Frank Drehmel
Punkte:
zugehöriger Link: Feder & Schwert
Hits: 3631
Sprache: german

  

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