House of M 1 – 4
Brian Michael Bendis & Olivier Coipel
Aus dem Amerikanischen von Michael Strittmatter
Panini, Marvel Deutschland, 2006 Prestigeformat, je 60 Seiten, je 5,95 EUR
Von Irene Salzmann
Wanda Maximoff alias Scarlet Witch hat sich und ihre Fähigkeiten nicht länger unter Kontrolle. Als sie versuchte, die Realität zu verändern, um das glückliche Familienleben zurück zu bekommen, das sie sich so wünscht, endete dies in einem Desaster, dem „Heldenfall“. Mehrere Rächer kamen dabei ums Leben, und Wanda wurde in die Verantwortung von Professor Xavier übergeben. Allerdings kann selbst der mächtigste Telepath der Erde, unterstützt von Magneto und Dr. Strange, die Mutantin weder heilen, noch für den Rest ihres Lebens kontrollieren.
In einer geheimen Sitzung beratschlagen die X-Men und die Rächer, was mit der Scarlett Witch gesehen soll. Als die Hardliner ihren Tod verlangen, versucht Quicksilver alles, um seine Schwester zu retten. In Folge kommen die X-Men und Rächer zu spät, das Gefängnis ist leer. Gegen die Attacke, die nun erfolgt, können sie sich nicht wehren.
In einer veränderten Realität dominieren die Mutanten, und die normalen Menschen sind nichts weiter als geduldete Parasiten einer neuen Gesellschaft. Jeder der Helden führt das Leben, das er sich immer erträumte und das ihm vom Schicksal verwehrt wurde. So herrscht endlich Magneto über ein eigenes Imperium, seine Kinder, darunter auch Polaris, stehen ihm zur Seite. Peter Parker ist glücklich mit Gwen Stacey verheiratet, sein Onkel Ben und auch Gwens Vater sind noch am Leben. Sogar ein kürzlich verstorbener Held ist von den Toten zurück. Und einer erinnert sich an alles: Wolverine.
Zusammen mit einigen Rebellen und einem geheimnisvollen jungen Mädchen versammelt Wolverine die X-Men und die Rächer um sich und gibt auch ihnen die Erinnerung zurück. Ihr Ziel ist es, die alte Realität wieder herzustellen. Doch was passierte mit Professor Xavier, der als Einziger zu Wanda durchdringen könnte? Ist er wirklich tot und damit alles verloren?
Zuletzt entschloss sich Marvel zu einigen überaus drastischen Aktionen. Figuren, die von den Fans seit Jahrzehnten geliebt werden, mussten sterben, die bestgehüteten Geheimnisse wurden enthüllt, viele Teams formierten sich neu, Freunde wurden zu Feinden und umgekehrt.
Der Story-Arc „House of M“ zieht sich mit seinen Auswirkungen durch eine Vielzahl von Serien und zeigt, wie das Leben der Helden hätte aussehen können, wenn ihnen mancher Schicksalsschlag erspart geblieben wäre. Aber ist die neue Welt, die von den Mutanten beherrscht wird, wirklich erstrebenswert? Die Verhältnisse haben sich umgekehrt, und so wie zuvor alles, was anders ist, von der normalen Bevölkerung gefürchtet und gejagt wurde, so werden nun die Menschen zunehmend ihrer Rechte beraubt, leiden unter Anfeindungen und Schlimmerem.
Manche der aufgezeigten Entwicklungen sind erstaunlich und werfen ein unerwartetes Licht auf den jeweiligen Charakter. Während Spider-Man mit seiner ersten großen Liebe Gwen zusammen ist, sind Cyclops und die White Queen anstelle von Marvel Girl/Phoenix ein Paar. Wolverine arbeitet für Shield und teilt sein Bett mit Mystique. Er ist wieder einmal Dreh- und Angelpunkt des Geschehens, denn nicht nur erinnert er sich an alles, was geschah, er weiß nun auch wieder alle Details seiner legendenumwobenen Vergangenheit, wodurch der Grundstein für die weitere Entwicklung seiner Figur (in seiner eigenen Serie) gelegt wird.
Die X-Men und Rächer sind gezwungen, ihr privates Glück zu opfern und gegen ihre Freunde zu kämpfen, um dieses zweischneidige Utopia ungeschehen zu machen. Ob es ihnen gelingen wird, die Scarlett Witch aufzuspüren und die ursprüngliche Realität erneut zu etablieren – oder ob diese bereits beeinflusst wurde -, verraten die vier Bände dieser Mini-Serie und natürlich die folgenden Abenteuer in den jeweiligen Reihen.
Es hat schon häufiger ähnliche Story Arcs gegeben, z. B. „The Age of Apocalypse“ oder die verschiedenen „What if“-Geschichten. Meist ging nach Beseitigung der Gefahr alles wieder seinen gewohnten Gang, es gab keine Veränderungen – oder diese betrafen ein Paralleluniversum. Diesmal jedoch wird deutlich gemacht, dass einige Überraschungen permanenter Natur sein werden. Die Auswirkungen auf die zahlreichen Serien sind daher nicht zu unterschätzen. In Konsequenz ist „House of M“ ein neuer Meilenstein für das House of Marvel.
Auch wenn man die Abenteuer der „X-Men“, „Rächer“, „Spider-Man“ und all der anderen nicht (mehr) regelmäßig verfolgt, diese weitgehend in sich abgeschlossene Geschichte überzeugt, denn sie ist spannend zu lesen, da sie viel Action und Dramatik beinhaltet. Der Leser trifft auf viele der wichtigsten Marvel-Charaktere, die seit Jahren die diversen Titel zu prägen halfen. Die Zeichnungen sind großartig realistisch-idealistisch, frei von extremen Manga-Einflüssen, die vielen Fans vor einigen Jahren den Spaß am Sammeln nahmen. Wer nun wieder einen Blick riskiert, wird angenehm überrascht und möchte vielleicht sogar wieder einsteigen, denn die Qualität von Handlung und Illustration sind deutlich höher als noch vor einigen Jahren. Auch Neu-Leser können mit dieser Reihe leicht den Weg ins Marvel-Universum finden.