Gene Wolfe
Der Ritter - Mythgarthr 1
(The Knight)
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Jürgen Langowski
Titelillustration Dietrich Ebert
Klett-Cotta, 2006, Hardcover, 564 Seiten, 24,50 EUR, ISBN 3- 608-93775-6
Von Carsten Kuhr
Ein neuer Gene Wolfe Roman, das ist schon für sich gesehen ein Buchereignis. Wenn ich mir dann eben jenes Buch anschaue, dann wird deutlich, dass man sich auch beim Verlag überlegt hat, wie man den Inhalt adäquat präsentieren kann. Ein sehr passender, von Dietrich Ebert gestalteter, teillackierter Umschlag, hochwertige Bindung, Kapitelvignetten und ein Lesebändchen sorgen für puren Buchgenuss.
Zum Inhalt des ersten Teiles eines großen, zweibändigen Romans.
Art, ein amerikanischer Teenager unserer Zeit wird in eine andere, magische Welt versetzt. Hier, in Mythgarthr beginnt er einen Brief - eben unser Buch - über seine Erlebnisse in der mittelalterlichen Welt und den sechs verbundenen Reichen der Elfen und weiterer magischer Wesen zu schreiben.
Bei einem alten, manches Mal etwas verwirrten Einsiedler findet er zunächst Unterschlupf. Dieser lehrt ihn nicht nur in der Wildnis zu überleben, sondern prägt auch die tolerante Einstellung des Jungen. Bislang kaum wahrgenommene Begriffe wie Ehre, Respekt Andersartiger und Aufrichtigkeit werden nach und nach zum Lebensinhalt des Jungen. Nach der Begegnung mit einem fahrenden Ritter überschreitet Art, der sich nun Able of the High Heart nennt, erstmals die Grenze zum Elfenland. Dort wird aus dem Jungen in nur einer Nacht ein kraftstrotzender Mann, und dort auch begegnet er seiner großen Liebe, der Elfenkönigin Disiri, die ihn zum Ritter schlägt. Doch bevor sie die Seine wird, muss er eine Queste erfüllen - die Suche nach dem magischen Schwert Eterne führt unseren zwar wackeren, aber meist mittellosen Ritter an die Gestade magischer Inseln, in Reiche unter dem Ozean, zu gefahrvollen Kämpfen und Abenteuern wie man sie von Aventurien erhofft.
Die Werke Gene Wolfes, die ins Deutsche übersetzt wurden lassen sich an zwei Händen abzählen. Dennoch hat der Name Gene Wolfe bei Freunden Phantastischer Literatur einen guten Klang. Vorliegender Band beweist einmal mehr, dass Wolfe zu den Großen des Genres zählt. Er bietet uns einen Plot, der nüchtern betrachtet zunächst eigentlich dem Gewohnten entspricht. Wir haben unseren jungen, entwicklungsfähigen Protagonisten, der in eine Parallelwelt versetzt wird, dort Abenteuer zu bestehen hat die ihn prägen um schlussendlich mit einer magischen Waffe und der Liebe eine betörenden Frau belohnt zu werden. Der Weg zum Ziel ist gepflastert mit Reisen, Kämpfen, und der Begegnung ungewöhnlicher Gestalten. In Form eines langen Briefes an seinen Bruder verfasst treten in der Schilderung der Ereignisse immer wieder größere zeitliche Lücken auf, die der Leser selbst anhand späterer Verweise schließen kann. Der Titel – „Der Ritter“ - gibt vor, dass Able - Englisch für „fähig“ - wie er sich selbst nennt, die Tugenden des Rittertums lernen muss, dass es Turniere und Gefechte zu bestreiten gilt. Doch wer nun annimmt, zu wissen, was auf ihn zukommt, der sieht sich getäuscht. Nicht die Kampfbeschreibungen stehen im Zentrum der Aufmerksamkeit, sondern der Mensch Able, der mit seiner Naivität, aber auch mit seinem Respekt und Ehrlichkeit ein ums andere Mal die ihn anfeindenden Ritter bloßstellt, und sich als überaus fähiges Vorbild präsentiert, ohne eingebildet oder abgehoben zu wirken. An einzelnen Stellen erwähnt er Kämpfe lediglich, eine Beschreibung würde zu sehr weh tun, schreibt Able in seinem Brief. Statt Schlachtengemälde also eher philosophische Monologe, statt Blut und der Jagd nach weltlichen Schätzen die Suche nach den verloren gegangenen inneren Werten. Das macht den Roman einzigartig, das hebt ihn weit aus der Masse der üblichen, Klischee behafteten Fantasy-Epen heraus, ohne dass wir auf phantastische Settings, Wesen oder mitreißende Begebenheiten verzichten müssen.
Obwohl man das Buch auch als durchaus spannende, temporeiche Abenteuererzählung lesen kann, hält Wolfe für seine Leser eine zweite Ebene bereit, die sich sehr intensiv mit dem Werteverfall unserer Welt auseinandersetzt, und hier deutliche Warnungen ausspricht. Und gerade die Fähigkeit, diese Message unaufdringlich in eine packende Geschichte voller Atmosphäre und Zauber zu verpacken zeichnet den großen Autor Gene Wolfe aus. Ungeduldig warte ich auf den zweiten Teil des Romans, der im Buchherbst 2006 in die Buchhandlungen kommen soll.
